Recherchen von Correctiv, rbb und SVZ zeigen: Im deutschen Amateurfußball werden pro Saison mehr als eine Milliarde Euro gezahlt – davon mutmaßlich 500 Millionen als Schwarzgeld. Wie gehen die Vereine in MV damit um?
Laufstark, abgebrüht, treffsicher – die Qualitäten des Kickers sind in der regionalen Amateurfußball-Szene bekannt. Wer diesen Spieler in seinen Reihen hat, der hat gute Aussichten auf Erfolg. Das Problem: Er steht ja noch für einen Konkurrenz-Verein auf dem Platz. Nach der Saison wechselt der Spieler den Verein. Eine vierstellige Summe habe er dafür bekommen, prahlt der Kicker. „Ich kenne jemanden, der keinen Hehl daraus gemacht hat, dass es bei ihm genau so gelaufen ist“, sagt Björn Kasch. Nein, einen Namen wolle der Vereinsvorsitzende der SG 03 Ludwigslust/Grabow, der zuvor mehr als zehn Jahre Fußball-Abteilungsleiter des Vereins war, nicht nennen. Jeder, der in diesem Metier unterwegs sei, wisse, so Kasch, dass Geldzahlungen gang und gäbe seien. Dass jemand offen darüber rede, sei aber die Ausnahme.
Geld spielt in ganz Deutschland im Amateurfußball eine große Rolle. Welche, das wurde in einer Kooperation von Schweriner Volkszeitung, Recherchezentrum Correctiv und dem rbb, der für die Recherche federführend war, herausgearbeitet.
10.000 Amateurkicker befragt
Hochrechnungen der ARD zeigen: Im deutschen Amateurfußball fließen pro Monat mehr als 100 Millionen Euro in die Taschen von Amateurspielern. Pro Saison sind es mehr als eine Milliarde Euro. Davon werden mutmaßlich 500 Millionen Euro als Schwarzgeld bezahlt. Diese hochgerechneten Ergebnisse basieren auf einer Online-Befragung mit mehr als 10.000 Amateurfußballerinen und -fußballern, die von Correctiv durchgeführt wurde. Antworten von 8085 Amateurfußballern zwischen 18 und 39 Jahren wurden in die Stichprobe eingerechnet, die als Grundlage für die Hochrechnungen diente. Darunter auch 92 Teilnehmer aus Mecklenburg-Vorpommern. Aus Nordrhein-Westfalen waren es beispielsweise 1607, aus dem Saarland 75.
500 Euro mittleres Einkommen bei Oberliga-Fußballern
Demnach gaben 60,2 Prozent von ihnen bei der Befragung an, schon einmal Geld dafür bekommen zu haben, Fußball zu spielen. Als monatlicher Festbetrag, als Punkt- und Siegprämien. 36,9 Prozent ließen erkennen, im Oktober 2020 Geld fürs Fußballspielen erhalten zu haben. Aus der errechneten Stichprobe gaben beispielsweise 89,9 Prozent der Spieler aus der fünfthöchsten Spielklasse an, dass sie im Oktober 2020 Geld fürs Kicken erhalten haben. Ihr mittleres Einkommen lag bei 500 Euro.
Liga 5: 89,9 Prozent (Median*: 500 Euro)Liga 6: 76,6 Prozent (Median: 300 Euro)Liga 7: 50,9 Prozent (Median: 210 Euro)Liga 8: 36,4 Prozent (Median: 200 Euro)*Der Wert, der genau in der Mitte einer Datenverteilung liegt, nennt sich Median oder Zentralwert.
Etwa die Hälfte der Zahlungen soll laut Umfrageteilnehmern nicht schriftlich dokumentiert worden sein. Viele der Teilnehmer berichten davon, dass das Geld bar in Umschlägen bezahlt werde, einigen von ihnen ist laut Correctiv bewusst, dass es sich um Schwarzgeld handelt. 18,2 Prozent haben schon einmal Sachwerte oder Dienstleistungen entgegengenommen.
So finden Schwarzzahlungen im Fußball statt
Aus der Befragung wird deutlich, dass die Wege der Bezahlung sehr vielfältig sind. Der mutmaßlich gängigste Weg: Bargeld im Umschlag, ausgehändigt im Vereinsheim. Manchmal stecken auch private Geldgeber den Spielern das Geld bar zu. Andere haben Scheinarbeitsverhältnisse beim Sponsor und kassieren das Geld, ohne dafür zu arbeiten. Manchmal verrechnen die Vereine auch vorher vereinbarte Prämien mit dem Kilometergeld – auch wenn der Spieler zu Fuß zum Sportplatz kommt. Einige Kicker gaben auch an, Sachwerte wie Fernsehgeräte zu erhalten. Einige bekommen Wohnung und Fahrzeug gestellt.
Fest steht, dass Schwarzgeld für einige Vereine wie selbstverständlich dazugehört. Nachzuweisen sind Geldflüsse dieser Art meistens nicht, weil offenbar in vielen Vereinen schwarze Kassen existieren.
Unangemeldete Steuerprüfungen
„Wir hatten noch nie eine schwarze Kasse und werden auch zukünftig keine haben“, sagt Jens Heysel. Seit 1992 übt der aktuelle Vorsitzende des MSV Pampow verschiedene Funktionärsposten im Verein aus. Zwei unangemeldete Steuerprüfungen habe es beim Verein schon gegeben. Die letzte 2020. Ein Ergebnis dazu sei noch offen, „aber wir werden keine böse Überraschung erleben“, ist sich Heysel sicher.
Doch wie werden beim MSV die Finanzen geregelt, um korrekt den derzeitigen Etat von rund 140.000 Euro für eine komplette Saison – inklusive der weiten Fahrten – in der 5. Liga einzusetzen? „Der Verein hat mit jedem Spieler, Betreuer und Trainer aus dem Oberligabereich eine befristete Vereinbarung abgeschlossen. Im Gegenzug für sein sportliches Engagement bei uns entschädigen wir ihn für anfallende Fahrtkosten und Equipment, das er für den Sport bei uns braucht“, so Heysel. Alle Aufwandsentschädigungen blieben dabei in einem steuerfreien Bereich von bis zu 400 Euro.
Alle MSV-Spieler müssen sozialversicherungspflichtige Jobs haben, weil sie darüber beispielsweise krankenversichert sind. Derzeit fünf, vornehmlich ausländische Spieler, seien deshalb in verschiedenen Firmen von Sponsoren in Teilzeit angestellt. „Und sie gehen dort auch tatsächlich arbeiten“, betont Heysel. Amateurverträge habe der Verein nicht abgeschlossen, „denn so umgehen wir die Nebenkosten beim Verband, die uns dadurch entstehen würden“, sagt Jens Heysel.
Nur wenige Amateurverträge beim DFB registriert
Amateurverträge gibt es insgesamt nur wenige. Auf Anfrage des rbb bei den 21 Landesverbänden des DFB, wie viele Amateurverträge dort in der Saison 2020/21 geschlossen wurden, werden rund 8000 Verträge im Amateurfußball in der Summe benannt. Das wäre nur etwa ein Prozent aller Amateurspieler in Deutschland.
Im Landesverband Mecklenburg-Vorpommern sind derzeit 59 Amateurverträge registriert, darunter 48 für Oberliga-Kicker – Verträge von Hansa Rostock nicht eingerechnet – und zehn für Verbandsliga-Spieler. Dazu kommt noch ein Vertrag aus einer tieferen Liga.
„Erschreckend, welche Angebote man erhält, nur um in der Amateurliga gegen den Ball zu treten.“
„Bezahlung kann sehr viel in der Mannschaft kaputtmachen.“ Das sind nur einige Beispiele von Aussagen, die über die Correctiv-Befragung mitgeteilt wurden.
Remo Sahm hat zu diesem Thema eine klare Meinung: „Wenn ich erfahren würde, dass ein Spieler hinter meinem Rücken Geld zugesteckt bekommt, dann würde ich sofort aufhören.“ Sahm ist seit zehn Jahren Trainer der ersten Männermannschaft des Lübzer SV, derzeit Tabellendritter der Landesliga West. „Wenn jemand bei uns kicken möchte, dann, weil er Lust dazu hat und nicht, weil er Geld dafür bekommt“, so Sahm. Lediglich ein Fahrtkosten-Aufwand für die auswärts Arbeitenden oder Studierenden komme laut Sahm in Lübz in Frage. Da seien sich er und der Vorstand einig.
Auf eigenen Nachwuchs und gutes Team-Klima setzen
Er wisse zwar, dass es Vereine gibt, die Spieler bezahlen, „aber bei solchen Mannschaften geht es nach einem Höhenflug auch immer wieder sportlich bergab, wenn die Kohle nicht mehr da ist oder die Spieler mit noch mehr Geld abgeworben werden. Aber wie kann ein Verein in einer ländlichen Region Spieler anlocken, wenn nicht mit Geld? „Wir haben viele Spieler aus dem eigenen Nachwuchs im Team. Qualitativ gutes Training kann auch ein Zugpferd sein.“ Es gehe darum, die Spieler zu fordern und zu fördern, ein gutes Klima innerhalb der Mannschaft herzustellen. „Bei uns klappt das ziemlich gut“, so Sahm.
Gleichgestellt – auch ohne Geld
Zurück zu Björn Kasch von der SG 03 Ludwigslust/Grabow. Er bläst ins gleiche Horn wie der Lübzer Trainer. „Es kann im Freizeitfußball nicht darum gehen, wer das meiste Geld zahlt. Wir sind oft belächelt worden für unseren Weg. Aber derzeit fahren wir die Ernte dafür ein, permanent den eigenen Nachwuchs zu fördern.“ Nach dem Abstieg in die Landesklasse sei die Mannschaft eben nicht auseinandergefallen, sondern habe die Ärmel hochgekrempelt und den direkten Wiederaufstieg geschafft. Weil eben ein Großteil der Spieler aus der Region komme und sich mit ihr und dem Verein identifiziere. „Wir punkten mit guter Infrastruktur, Mannschaftsgeist und einem hohen Spaßfaktor. Bei uns sind alle gleichgestellt – ohne Geld.“
Ist das eine Ausnahme oder die Regel? Diese Frage wird in der Fußball-Szene jeder Vereinsfunktionär und Spieler selbst am besten beantworten können.
Die Dokumentation „Milliardenspiel Amateurfußball: Wenn das Geld im Umschlag kommt“, wird am Mittwoch, 19. Januar, um 23.30 Uhr in der ARD ausgestrahlt und ist ab sofort auf der Themenseite zu sehen: https://www.sportschau.de/milliardenspiel