Unfallhilfe in MV : Retter halten Frist in keinem Kreis ein
Zehn Minuten liegen nur in Schwerin und Rostock zwischen Alarmierung und Eintreffen
Alarmierende Zahlen: In keinem Landkreis in Mecklenburg-Vorpommern wurde im Jahresdurchschnitt 2016 die in einem medizinischen Notfall gesetzlich vorgeschriebene zehnminütige Hilfsfrist eingehalten. Das geht aus der Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion „Bürger für Mecklenburg-Vorpommern“ (BMV) hervor. Nur in den beiden kreisfreien Städten lag demnach die durchschnittliche Hilfsfrist deutlich unterhalb der vorgeschriebenen Zeitgrenze: In der Landeshauptstadt brauchten die Rettungskräfte von ihrer Alarmierung durch die Leitstelle bis zum Eintreffen am Einsatzort durchschnittlich 9,1 Minuten, in Rostock sogar nur 7,2 Minuten. In den Landkreisen dagegen reichen die Fristen von 10,3 Minuten in Vorpommern-Greifswald über 11,4 Minuten in Nordwestmecklenburg, 11,5 Minuten im Landkreis Rostock und 12,3 Minuten in Vorpommern-Rügen bis zu 13,2 Minuten im Landkreis Ludwigslust-Parchim. Aus der Mecklenburgischen Seenplatte lagen keine Daten vor. Landesweit wurde bei 60 000 von rund 160 000 Einsätzen im Jahr 2016 die Zehn-Minuten-Frist nicht eingehalten.
„Der Notfallrettungsdienst ist damit nicht bedarfsgerecht. Er kann nicht als funktionsfähig gelten“, kritisiert der Parlamentarische Geschäftsführer der BMV-Fraktion, Matthias Manthei. „Einmal mehr sind die ländlich geprägten Regionen des Landes besonders benachteiligt.“
Das Gesundheitsministerium sieht die Landkreise als Träger des Rettungsdienstes in der Verantwortung. Sie müssten „Strukturen und Vorhaltung“ prüfen, um die Vorgaben des Rettungsdienstgesetzes und der Rettungsdienstplanverordnung einzuhalten. Das wird in den Landkreisen grundsätzlich ebenso gesehen. Derzeit werde die einheitliche Überplanung aller Rettungsdienstbereiche im Land vorbereitet, so die Sprecherin des Nordwest-Kreises, Petra Rappen.
„Eine Situation, in der Verletzte oder Erkrankte durch zu spätes Eintreffen der Rettungskräfte zu Schaden gekommen sind, ist in den zurückliegenden Jahren im Landkreis Ludwigslust-Parchim nicht eingetreten“, so Kreissprecher Andreas Bonin. Auch dort bedürfen die bestehenden Rettungsdienst-Strukturen aber der Überprüfung. Im zweitgrößten Flächenkreis der Bundesrepublik gibt es heute acht Notarztstandorte und 18 Rettungswachen, die der ständigen Qualitätskontrolle durch den Landkreis unterliegen.
Kommentar "Überambitioniert?" von Karin Koslik |
Im lebensbedrohlichen Notfall zählt jede Sekunde. Deshalb ist es auch enorm wichtig, dass Rettungskräfte nach ihrer Alarmierung möglichst schnell am Einsatzort ankommen. Aber ist dafür ein Durchschnittswert von zehn Minuten in einem Flächenland wie Mecklenburg-Vorpommern eine realistische Größe? Die Vorgabe sei ambitioniert, „die ambitionierteste in der ganzen Bundesrepublik“, hatte die seinerzeit zuständige Ministerin Birgit Hesse (SPD) 2015 bei der Novellierung des Rettungsdienstgesetzes erklärt. Tatsächlich hat jedes Bundesland eigene Fristen, die längsten gelten in ländlichen Regionen Thüringens mit 17 Minuten. Auch in vergleichbaren Nachbar-Bundesländern bleibt den Rettern mehr Zeit: In Schleswig-Holstein sind es zwölf Minuten, in Niedersachsen sogar 15 – dort beginnt zudem die Frist erst mit der Einsatzentscheidung und nicht, wie in den meisten Ländern, bereits wenn der Anruf in der Leitstelle angenommen wird. Auch in MV hat man Zeit gewonnen, indem als Beginn für die Hilfsfrist erst die Alarmierung des Rettungsmittels festgelegt wurde. Experten zufolge gewinnt man derart bis zu 90 Sekunden. Dennoch brauchten die Rettungsdienste 2016 im landesweiten Durchschnitt in 37,5 Prozent der Fälle länger als die vorgegebene Frist , um am Einsatzort einzutreffen. Am prekärsten war die Situation im Landkreis Ludwigslust-Parchim, wo in 63,8 Prozent der Fälle bis zum Eintreffen der Retter mehr Zeit verging, als vorgeschrieben. Eine Gesetzesänderung ist dennoch kein Ausweg. Die Erfolgschancen für eine Reanimation liegen nach drei Minuten bei 75 Prozent, nach zehn Minuten nur noch bei fünf Prozent. Noch mehr Rettungswachen und noch mehr Notärzte sind nötig – weil im Notfall jede Sekunde zählt. |
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