Protest zum 17. Juni : Lenin mischt den Dreesch auf
Drei Dutzend Demonstranten fordern die Entfernung des Standbildes und provozieren Sprechchöre aus verschiedenen politischen Richtungen
„Pfui, lasst das sein“ und „Er lügt“ – solche Rufe haben Alexander W. Bauersfeld begleitet, als er den Kopf der Lenin-Statue an der Ecke Hamburger Allee und Plater Straße verhüllte. Etwa 50 Demonstranten aus fast allen politischen Lagern verfolgten die Kundgebung am gestrigen 17. Juni, dem 61. Jahrestag des ersten anti-stalinistischen Arbeiteraufstandes in der DDR. Initiator Bauersfeld, ehemaliger politischer DDR-Häftling, fordert den Abriss der Schweriner Lenin-Statue, von der extra für die Kundgebung Spuren jüngster Farbbeutel-Attacken beseitigt worden waren. „Wo so ein Denkmal steht, kann man nicht zur Tagesordnung übergehen“, sagte er und erntete „Spinner“-Rufe von den Umstehenden. „Lenin hat dafür gesorgt, dass der Erste Weltkrieg zu Ende ging, mit dem Dekret über den Frieden“, rief einer. Lenin habe den Bauern Land gegeben, und er habe vor Stalin gewarnt, ein anderer. Vor das Bronzestandbild des Revolutionsführers hatte jemand „Lenin bleibt“ gesprüht.
Auch die Polizei war vorsorglich mit mehreren Beamten und zwei Polizeihunden vor Ort, wie ein Sprecher bestätigte. Stev Ötinger (FDP) von den Ortsbeiräten Mueßer Holz und Großer Dreesch und etwa drei Dutzend Menschen zeigten Gesicht für die Entfernung des Lenin-Standbildes. Bereits mehrere Minuten vor der Kundgebung hatten sich Pro-Lenin-Leute vor der Statue platziert. „Lieben, Lachen, Lenin lesen“ forderten Vertreter der DKP und SDAJ auf einem Plakat, bevor sie von den angemeldeten Protestlern verdrängt wurden.
Der Kundgebung war ein Gerichtsurteil vorausgegangen. Grund: Schwerins OB Angelika Gramkow (Linke) hatte die Verhüllung der Lenin-Skulptur wegen Verstoßes gegen die „Kunstfreiheit im Wirkbereich“ zunächst untersagt. Das Gericht aber erachtete „die Auflage im Hinblick auf die grundrechtlich geschützte Meinungs- und Kunstfreiheit als rechtswidrig.“ Das Lenin-Denkmal steht seit Jahren in der Kritik. Nach Beschwerden der FDP in der Stadtvertretung hatte die Verwaltung eine erklärende Tafel an dem Standbild anbringen lassen. Das bewahrte das Denkmal aber nicht vor Farbbeutel-Attacken.
PRO von Gert Steinhagen

Protest muss sein
Natürlich muss am 17. Juni auf Diktatur und Gewaltherrschaft aufmerksam gemacht werden. Denn es waren sowjetische Panzer, die 1953 den Aufstand in der DDR niedergeschossen haben. Und wo wäre Protest dagegen besser möglich, als am Lenin-Denkmal? Der hatte schließlich die Diktatur des Proletariats durchgesetzt. Der richtete 1918 Gefangenenlager für politische Gegner ein, die er offiziell Konzentrationslager nannte. Also ist es richtig, diesen unsäglichen Kopf zu verhüllen. Auch deshalb, weil die Extremisten von SDAJ und DKP „ihren“ Lenin so sehr in Ehren halten. Schade nur, dass die Oberbürgermeisterin einer Landeshauptstadt das auch tut.
KONTRA von Bert Schüttpelz

Auch Protest hat Regeln
Die demokratisch gewählte Stadtvertretung hat sich mit Mehrheit gegen den Abriss der Lenin-Statue ausgesprochen, nicht um Lenin zu verherrlichen, sondern weil die Plastik eine zeitgeschichtliche Relevanz für Schwerin hat. Bei der politischen und historischen Einordnung hilft die Tafel. Die Skulptur selbst ist ein Kunstwerk eines renommierten Bildhauers. Und Kunst verdient Achtung, egal ob sie gefällt oder nicht. Wie soll ich einem Graffiti-Sprayer erklären, dass er die Plastiken an der Knaudtstraße nicht beschmieren darf, wenn eine andere Plastik verunstaltet wird? Auch berechtigter Protest hat sich an Regeln zu halten.

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