Dienst für die Schweriner : Am Heiligen Abend auf den Schienen der Stadt
Erika Witt steuert eine Straßenbahn durch Schwerin, wenn andere die Geschenke auspacken
Um 12.03 Uhr beginnt heute für Erika Witt der Dienst. In der Von-Stauffenberg-Straße steigt die 62-Jährige in die Linie 1. Um 16.46 Uhr wechselt sie in die Linie 2. Witt fährt Straßenbahn – auch am Heiligen Abend. Wenn überall in Schwerin Geschenke ausgepackt, Weihnachtslieder gesungen und Würstchen mit Kartoffelsalat verdrückt werden, steuert die Platerin ihre Bahn über die Schienen der Landeshauptstadt.
Seit 41 Jahren arbeitet Witt beim Nahverkehr. Wie viele Weihnachtsdienste sie in dieser Zeit schon geschoben hat, kann die Straßenbahn-Fahrerin nicht sagen. „In jedem zweiten Jahr bin ich bestimmt an der Reihe gewesen“, meint sie. Das sei nun mal so, da dürfe man sich nicht wundern. „Die Kunden wollen ja befördert werden und rechtzeitig zur Bescherung kommen.“
Ja, so ein bisschen anders sei die Atmosphäre schon am Heiligen Abend, berichtet Witt. „Manche Fahrgäste klopfen bei mir ans Fenster und wünschen ein frohes Fest.“ Auch Schokolade habe sie schon bekommen, von dankbaren Rollstuhlfahrern zum Beispiel. Natürlich sehe man Menschen mit strahlenden Gesichtern und großen Paketen, erzählt Witt. Den Weihnachtsmann persönlich habe sie ebenfalls bereits befördert, aber das sei lange her.
Leerer als sonst seien die Straßen am Heiligen Abend – es gäbe auch weniger Autos, die die Straßenbahnschienen blockierten, schildert Witt mit einem Augenzwinkern. „Am 1. Weihnachtsfeiertag ist dann schon wieder mehr los in der Stadt, besonders zur Kaffeezeit.“ Tatsächlich sitzt die Platerin auch morgen auf dem Fahrersitz einer Straßenbahn. Am 29. Dezember geht sie in Urlaub, hat den Jahreswechsel frei.
Durch eine Stellenannonce kam die 62-Jährige im September 1973 zum Nahverkehr, freute sich über den Job als Straßenbahn-Fahrerin und über den Krippenplatz für ihr erstes Kind. Elf Jahre arbeitete sie zwischendurch im Lohnbüro. „Die Arbeit beim Nahverkehr hat mir immer Spaß gemacht“, betont Witt. „Jeder Tag bringt neue Herausforderungen, jede Tour mit der Bahn ist anders.“ Trotzdem sei sie aber froh, bald auch den verdienten Ruhestand genießen zu können. „Am 1. Dezember 2015 gehe ich in Rente“, erklärt die Platerin. Der Weihnachtsdienst in diesem Jahr werde also der letzte für sie sein.
Um 20.49 Uhr wird Erika Witt heute mit ihrer Straßenbahn auf den Betriebshof des Nahverkehrs im Haselholz rollen. Gegen 21.30 Uhr ist sie voraussichtlich zu Hause. „Mein Mann Holger erwartet mich.“ Er sei auch 45 Jahre für den Nahverkehr tätig gewesen, kenne die Regel, auch dann zu arbeiten, wenn andere feiern. Eine Weihnachtstanne wird Witt daheim nicht aufstellen. Das lohne sich nicht, sagt sie. Einen Baum hat sie aber schon geschmückt – im Wartehäuschen für die Nahverkehrs-Fahrer in der Von-Stauffenberg-Straße. „Und daran werde ich mich auch am Heiligen Abend erfreuen.“

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