Eine Frau aus der Region macht ihrer Tochter und dem Jugendamt große Vorwürfe – und bekam nun die siebenjährige Enkelin in Obhut. Doch die beiden Geschwister bleiben getrennt.
Es ist für eine Mutter schon schmerzlich zu erleben, dass sich die erwachsene Tochter fast unerreichbar entfernt, obwohl sie gleich um die Ecke wohnt. Und noch schlimmer, mit ansehen zu müssen, dass es deren beiden Kindern Paula und Anna*, jetzt sieben und fünf, nicht nur an Zuwendung und Geborgenheit fehlt, sondern auch an Fürsorge, manchmal selbst am Essen. Marita Leist*, Mitte 40, geht mit ihrer Ältesten hart ins Gericht: Diese, etwa Mitte 20, habe in ihrem Leben bislang nichts auf die Reihe bekommen, lasse sich aber auch nicht helfen.
Durch falschen Umgang ging es bergab
„Die Katastrophe“ habe begonnen, als die Tochter den Vater der Kleinen, zu der Zeit ein Jahr, heiratete, sagt Leist. Das Paar, das nun gemeinsam weiter entfernt wohnte, habe jegliche Kontakte zur Familie abgebrochen, „zu allen“. Doch die Zweisamkeit hielt nicht lange, die Ehe wurde geschieden. Die junge Frau zog im Oktober 2013 „Hals über Kopf“ aus, kam nach einem Suizidversuch in die Psychiatrie, fand zurück, Arbeit und eine eigene Wohnung. „Da lief es top“, erzählt Leist. Paulas leiblicher Vater, „ein netter Kerl“, lebt in einem anderen Bundesland. Er habe keinerlei Anstalten gemacht, das Sorgerecht zu erstreiten, damit die Geschwister zusammen bleiben. Der Vater der Kleinen war regelmäßig zu Besuch. Wussten die Mädchen das vorher, hätten sie sich versteckt, erzählt die Großmutter. Paula, die Große, habe Angst vor ihrem zeitweiligen Stiefvater gehabt. Es sei oft zu Streit gekommen, manchmal sogar die Polizei gerufen worden.
Von September 2015 an sei es mit der Tochter „durch falschen Umgang“ bergab gegangen, schon im Monat darauf habe sie ihre Arbeit verloren und wieder allen Kontakt abgebrochen. „Damit niemand sieht, wie es ihr geht“, sucht die Mutter eine Erklärung.
Als die Tochter mit Anna ins Krankenhaus musste und die Große bei für sie wildfremden Menschen unterbringen wollte, nutzte Leist das noch in besseren Tagen für Paula vereinbarte Aufenthaltsbestimmungsrecht und fuhr mit ihr zum Jugendamt in Parchim, um Hilfe zu bekommen. Die Mitarbeiterin habe sich um alles kümmern und das mit der Kindesmutter absprechen wollen. Die aber habe weiter „in den Tag hinein gelebt“, weder Miete noch sonst was bezahlt. Im Februar dieses Jahres hat es, so Leist, „geknallt“: Essenssperre durch den Kita-Versorger und Kontosperre. „Meine Tochter stand heulend bei mir am Auto, weil sie kein Geld hatte. Ich kannte das, die Masche beherrscht sie.“ Im Interesse der Enkel half die Mittvierzigerin, ein so genanntes P-Konto zur Schuldentilgung einzurichten, mit dem Vermieter Ratenzahlung auszumachen und Hartz IV zu beantragen, das wegen verhaltensbedingter Kündigung gesperrt war. Die Mitarbeiterin des Jugendamtes sei darauf hingewiesen worden, dass die Familienhilfe offenbar nicht greife und kein Essen im Kühlschrank sei. Die junge Mutter sei in der Lage, das selbst zu regeln, so etwa die Antwort. Doch die kümmerte sich auch jetzt nicht. Im Mai drohten Stromsperre und Wohnungskündigung. Letztere wurde durch das Jugendamt abgewendet, erzählt Leist, Strom sei einige Tage abgestellt worden. Einen Antrag auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechtes für Paula – für Anna hat der Vater das Sorgerecht – wies das Gericht am 30. Juni ab. Die Mitarbeiterin des Jugendamtes habe gesagt, es sei alles in Ordnung, so die Großmutter völlig ungläubig.
Seit September faktisch obdachlos
Der Vermieter hatte aber weiter keine Zahlungseingänge, kündigte die Wohnung zum 31. August und ließ an dem Tag das Türschloss auswechseln. Über die drohende Wohnungskündigung sei das Jugendamt am 12. Juli informiert worden.
Das Jugendamt habe Standards zur Prüfung möglicher Kindeswohlgefährdung, an die es sich strikt halte, sagt Monika Thieß, Leitende Sozialpädagogin für den Standort Parchim, auf SVZ-Anfrage. Nach Hinweisen, die auf ganz unterschiedlichem Weg eingingen, werde zu zweit bei einem Hausbesuch geprüft, wie weit das Kind tatsächlich gefährdet ist und ob Eltern bzw. Mutter oder Vater in der Lage und
bereit sind, die Sache zu klären. Es gehe zuerst darum, zu unterstützen und nicht ein Kind wegzunehmen, so Thieß.
Für Marita Leist steht dagegen die Tatsache, dass ihre Tochter seit September faktisch obdachlos und mit der Großen irgendwo „untergekrochen“ sei. Aus Sorge und Verzweiflung wandte sie sich an SVZ. Die von uns am Dienstag, 27. September, schriftlich an das Jugendamt gestellte Anfrage wurde zwar erst in dieser Woche beantwortet, doch es wurde vorher gehandelt: Paula befindet sich nun in Obhut der Großmutter. Diese sieht darin einen Teilerfolg, denn dass die Geschwister getrennt sind, schmerze weiterhin. Natürlich hoffe sie, dass die Tochter ihr Leben doch noch auf die Reihe bekommt.
*Namen geändert
Kommentar des Autor |
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Noch genauer hinsehen |
Das Jugendamt hat Standards zur Prüfung, ob das Kindeswohl gefährdet ist oder nicht, beurteilt die Situation danach aus anderer Sicht als eine sorgenvolle Großmutter. Aber es steht die Frage, ob sich das Jugendamt vielleicht von der Kindesmutter täuschen ließ. Eindeutige Signale, dass nicht alles in Ordnung ist, gab es reihenweise, ob von der Großmutter und dem Vater der kleinen Tochter über das gesperrte Konto und Kita-Essen bis hin zum zeitweilig abgestellten Strom und der Wohnungskündigung. Eigentlich hatte die junge Frau und Mutter von zwei kleinen Kindern das Vertrauen in sie aufgebraucht, erhielt es vom Amt aber immer wieder. Erst als sie nicht mehr erreichbar war und die Hilfsangebote gar nicht mehr bei ihr ankamen, zog das Jugendamt die Notbremse. Vorher hätte es richtig schief gehen können. Ist es zum Glück nicht. Doch das kann nur heißen, noch genauer hinzusehen. |