Zeitzeugen blickten in Stasi-Unterlagenbehörde Görslow auf die Schweriner Montagsdemonstration vom 23. Oktober 1989 zurück
„Ich ziehe den Hut vor allen Leuten, die in der DDR den Mut hatten, auf die Straße zu gehen und die Wende einzuleiten“, sagt Michael Kolbe aus Schwerin nach der Diskussionsrunde „Samstag im Archiv“ in der Stasi-Unterlagenbehörde in Görslow, die sich gerade mit dem Herbst 1989 und der Schweriner Montagsdemonstration vom 23. Oktober beschäftigt hatte. „Ich stamme aus Darmstadt, lebte damals im Westen. Doch was die Menschen hier bewegt haben, was in ihnen vorgegangen ist und welche Angst sie überwinden mussten – das kann ich jetzt besser nachvollziehen.“
Zuvor hatte Martin Klähn, das „Nordlicht“ unter den Gründungsmitgliedern des Neues Forums, berichtet, was er 1989 erlebt hat, wie es zu der Schweriner Demonstration mit rund 30 000 Teilnehmern gekommen war. Corinna Kalkreuth, Leiterin des Görslower Hauses, ergänzt das mit Auszügen aus Stasi-Unterlagen. Diesen Dialog ergänzten viele Gäste aus dem rund 40-köpfigen Publikum, denn die meisten waren bei der Montagsdemonstration selbst dabei.
Bei diesem Austausch wurde deutlich, dass es unterschiedliche Erinnerungen an diesen Tag gibt. Das Besondere an dieser Schweriner Montagsdemonstration war die von der SED zeitgleich angesetzte Gegenkundgebung – ebenfalls auf dem Alten Garten. Zwischen diesen Gruppen gab es aber keine Konfrontation. Im Gegenteil: Viele der extra in Bussen herangefahrenen Kundgebungsteilnehmer schlossen sich dem Zug der Demonstranten an. „Deshalb waren letztlich so viele dabei“, betont Klähn. Und der Zug wurde von der Polizei gestoppt: Zwei Verkehrspolizisten auf Motorrädern baten darum, nicht übers Werdereck zu laufen, sondern durch die Amtstraße, damit der Verkehr durchkommt. Hinten im Zug gingen Gerüchte um, die Angst wuchs. Aber nach dem eindrucksvollen Rundgang mit Kerzen in der Hand um den Pfaffenteich war der Bann gebrochen. In getrennten Gruppen ging es zurück zum Alten Garten. Vor der SED-Bezirksleitung drohte es dann doch zu eskalieren, weil einige Demonstranten die heutige Staatskanzlei stürmen wollten. Heiko Lietz gelang es, die Lage zu beruhigen. Auch die legendäre Flucht von Heinz Ziegner, dem ersten Sekretär der Bezirksleitung, gab es. Sie ist sogar in den Stasi-Akten dokumentiert. Aber ob sie wirklich durch den Kohlenkeller führte, bleibt offen.
Dieser Austausch der Zeitzeugen hat das Bild von den Abläufen vervollständigt. Wermutstropfen war allerdings, dass die Zeitzeugen beinahe unter sich blieben und nur wenige andere Interessierte den Weg nach Görslow fanden.