Nach dem Missbrauch bei Power for Kids: Warum Angelika Gramkow die Amtsleiterin nach Freistellung wieder einsetzte, ist unklar
Nach dem Kindesmissbrauch im Verein Power for Kids, der Verurteilung von Peter B. zu sechs Jahren und sechs Monaten Haft und der Vorlage des Abschlussberichtes des Sonderausschusses der Stadtvertretung zur Rolle des Jugendamtes im Missbrauchsprozesses sind drei Punkte offen geblieben. Erstens: Der Jugendhilfeausschuss hat seinem Vorsitzenden das Misstrauen ausgesprochen und ihn zum Rücktritt aufgefordert. Passiert ist danach nichts. Zweitens: Der Sonderausschuss rät der Oberbürgermeisterin, den Bereich Jugendhilfe vom Großamt Jugend, Soziales und Sport abzuspalten. Auf dem neuesten Organigramm der Stadtverwaltung gibt es immer noch das Großamt. Und drittens: Warum ist die Jugendamtsleiterin von der Oberbürgermeisterin wieder mit allen Aufgaben betraut worden? Eine Erklärung hierfür ist schwierig.
Die Amtsleiterin hätte sich erfolgreich auf den Posten zurückklagen können, hatte OB Angelika Gramkow vor dem Sonderausschuss argumentiert. Doch das hatte die vom Jobcenter ausgeliehene Beamtin offenbar gar nicht vorgehabt. Auch führte die OB an, dass die Verwaltungsspitze sie in der Wiedereinsetzung bestärkt hätte. Öffentliche Nachweise dafür gibt es nicht. Und vor allem hätte der interne Bericht der unabhängigen Untersuchungsführerin keine schwerwiegenden Fehler der Amtsleiterin attestiert, sagt die OB. Doch das ist nicht richtig.
Verwaltungsbericht liefert Antworten
Die Situation für Angelika Gramkow ist deshalb schwierig, denn gerade der interne Bericht zeigt klar: Die Amtsleiterin hätte nie zurück auf ihren Posten kehren dürfen. Entweder sind dafür die aufgeführten Fakten ursächlich, dass ihr die Fachkompetenz fehlt, den sensiblen Bereich der Jugendhilfe zu führen. Oder es sind die daraus resultierenden Gründe, dass auch der Abteilungsleiter klar aufgelistete Fehler machte, die den weiteren Missbrauch von Kindern und Jugendlichen im Verein Power for Kids ermöglichten, nachdem im Januar 2015 das Jugendamt Kenntnis vom Verdacht der Kindeswohlgefährdung erhielt und bis zur Verhaftung von Peter B. im August 2015 nichts unternahm.
Die Fakten zum ersten Punkt, der fachlichen Qualifikation: Nachdem der Verdacht der Kindeswohlgefährdung durch einen freien Träger auch der Amtsleiterin mitgeteilt wurde, konnte sie nach eigener Aussage „keine Verbindung von Peter B. zu seiner Tätigkeit im Verein herstellen“. Ihr sei Power for Kids bis zu der Information im Januar 2015 „nicht bekannt“ gewesen. Auch zog sie zum Gespräch mit dem Vorsitzenden des Jugendhilfeausschusses, der das Amt über den Missbrauchsverdacht informiert hatte, ihren Abteilungsleiter hinzu, weil ihr „die fachlichen Kenntnisse im Umgang mit diesem Sachverhalt“ fehlten. Eine Strafanzeige wegen des Verdachts des Missbrauchs wollte die Amtsleiterin nicht einleiten. Zu Protokoll gab sie später: „Wenn ich gewusst hätte, dass Peter B. mit Kindern in einem Verein zusammenarbeitet, hätte ich anders entschieden.“
Anerkennungsverfahren für Power for Kids
Zur Erinnerung: Im dürftig dokumentierten Fall hatte der freie Träger von sexuellen Übergriffen „in den Räumen von Power for Kids“ durch Peter B. gegenüber den beiden Jungen der 8. und 9. Klasse berichtet, die sich an einen Schulsozialarbeiter des freien Trägers gewendet hatten – und ebenfalls verdeutlicht, dass weitere Kinder betroffen waren, unter anderem ein „so etwa elf Jahre alter Junge“, so das Protokoll des Schulsozialarbeiters, das dem Jugendamt Anfang 2015 vorlag. Und vor allem: Seit 2007 versuchte der Verein Power for Kids als öffentlicher Träger der Jugendarbeit anerkannt zu werden. Zweimal wurde das abgelehnt, das dritte, 2014 begonnene Verfahren endete nach der Verhaftung von Peter B., weil der Verein selbst im September 2015 den Antrag zurückgezogen hatte. Bis dahin hatte die Verwaltung – mit einer von der Oberbürgermeisterin gezeichneten Beschlussvorlage – die Anerkennung angestrebt. Die Informationen über den Verdacht gegen Peter B. vom Januar 2015 sind in diesem Anerkennungsverfahren weder von der Jugendamtsleiterin noch vom Vorsitzenden des Jugendhilfeausschusses jemals eingebracht worden.
Die Amtsleiterin ist seit August 2013 auf ihrem Posten im Stadthaus. Sie sagt von sich selbst: „Ich bin keine Fachkraft im Bereich der Sozialpädagogik.“ Und: „Ich habe keine Einarbeitung bekommen. Ich habe mir alles Stück für Stück aus dem aktuellen Anlass heraus angeeignet.“ Für das Personal verantwortlich ist die Oberbürgermeisterin.
Verein war Amtsleiterin nicht bekannt
Aber wenn das Jugendamt die Anerkennung von Power for Kids als Träger der Jugendhilfe vorantreibt, womit es danach öffentliche Gelder für den Verein gegeben hätte, dann dürfte man eigentlich davon ausgehen, dass die Amtsleiterin schon einmal von dem Verein gehört hätte. Das aber will sie bis Januar 2015 nicht getan haben. Der Widerspruch: Im Befragungsprotokoll aus dem Februar dieses Jahres steht, dass die Amtsleiterin „teilweise“ ins Anerkennungsverfahren eingebunden war. Und noch eine Antwort aus der Befragung ist aussagekräftig: Auf die Frage, ob das Jugendamt jemals seit 2001 die Arbeit von Power for Kids überprüft hat, antwortet die Amtsleitern: „Dazu kann ich nichts sagen.“
Dienstanweisung nicht beachtet
Und die Fakten zu den Fehlern: Laut gültiger Dienstanweisung im Jugendamt, Punkt 3 auf Seite 1, muss jede Mitteilung – schriftlich, mündlich, telefonisch, elektronisch – auch anonym, die Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung enthält, schriftlich festgehalten und unterschrieben werden“. Dazu gibt es ein extra Formular, den Bogen A. Das ist im Januar 2015 nicht passiert. Selbst der interne Verwaltungsbericht kommt zu dem Fazit: „Auch wenn man der Ansicht wäre, die Amtsleiterin nicht als Fachkraft des Sozialpädagogischen Dienstes anzusehen, sollte diese die interne Dienstanweisung ihrer Verantwortungsbereiche inhaltlich kennen und auf deren Einhaltung hinwirken.“ Aber selbst das wäre unerheblich. Denn Punkt 6 der Dienstanweisung schreibt vor, dass „zwingend eine Falldokumentation erforderlich“ ist. „Mithin hätte die Amtsleiterin die Mitteilung schriftlich vornehmen müssen“, lautet das Fazit der internen Untersuchung. Und: „Eine Ausnahme von der Dokumentationspflicht bei vertraulich erlangten Meldungen sieht die Dienstanweisung nicht vor. Dass die Daten des Jugendhilfeausschuss-Vorsitzenden schützenswert waren, ändert nichts an der Frage der Dokumentation.“
Bericht: „Grob regelwidrig gehandelt“
Dass die Amtsleiterin nach dem Gespräch mit dem freien Träger im Januar 2015 keine weiteren Maßnahmen eingeleitet hat, „ist mit den Regelungen zum Kinderschutz nicht vereinbar“, lautet das Fazit des internen Berichts, aus dem die Oberbürgermeisterin keine schweren Vergehen ihrer Amtsleiterin herauslesen will. Und auch diesen Satz scheint die OB überlesen zu haben: „Bezüglich der Abwägung, dass zum Zeitpunkt des Bekanntwerdens der Vorwürfe weitere Kinder und Jugendliche hätten betroffen sein können, haben die Mitarbeiter des Jugendamtes grob regelwidrig gehandelt, da hier keine Risikoeinschätzung stattgefunden hat.“
Fazit: Nur eine Konsequenz gezogen
Im Übrigen hat von all dem auch seit Januar 2015 der damalige Jugenddezernent Dieter Niesen gewusst. Nur ist er Ende August 2015 aus städtischem Dienst ausgeschieden und hat seitdem Aussagen verweigert. Und was sagte OB Angelika Gramkow zu den Vorwürfen, es habe sich nicht viel gebessert im Jugendamt, seit sie Verwaltungschefin ist? „Wir haben kein strukturelles Defizit, sondern es gab eine Fehleinschätzung eines Abteilungsleiters.“
Der Abteilungsleiter Sozialpädagogischer Dienst ist seit Jahresbeginn in ein anderes Amt zwangsversetzt. Die Leiterin des Amtes für Jugend, Soziales und Sport war von OB Angelika Gramkow zwischen Januar und März dieses Jahres vom Bereich Jugendhilfe freigestellt worden. Sie wurde zu keinem Zeitpunkt suspendiert oder ihrer Amtsleiter-Funktion enthoben.