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Lübz Froh, Terror entkommen zu sein

Von ILBA | 01.10.2016, 16:00 Uhr

Syrische Flüchtlingskinder verbringen Tag im Lübzer Mehrgenerationenhaus (MGH). Lehrerin von Wissbegierigkeit begeistert

Kaum zu glauben, aber wahr: Am Frühstückstisch im Mehrgenerationenhaus (MGH) saßen gestern Morgen elf Kinder und Jugendliche im Alter von acht bis 14 Jahren zusammen, die sechs Sprachen fließend beherrschen – Türkisch, Arabisch, Kurdisch, Rumänisch, Englisch und Bulgarisch. Mit Deutsch üben sich jetzt alle erfolgreich in der siebten, die gestern auch zur Verständigung aller diente.

Die meisten sind mit ihren Eltern über das Mittelmeer oder die Balkanroute zu Fuß vor Krieg und Gewalt aus Syrien geflohen, einige deshalb traumatisiert. Mustafa zum Beispiel stammt aus der mittlerweile vollkommen in Trümmern liegenden Großstadt Aleppo mit einst gut 2,3 Millionen Einwohnern. „In unserer Straße habe ich gesehen, wie aus einem Flugzeug direkt vor mir Menschen erschossen wurden – gar nicht gut...“, berichtet der 14-Jährige still. Als Kurde gehört er einer Bevölkerungsgruppe an, die kein eigenes Land hat. Seine Schwester ist im Libanon hängen geblieben und würde auch gern kommen, wie der Bruder sagt.

Einschließlich Raul, dem Kind einer rumänischen Gastarbeiterfamilie, die erst seit zwei Monaten in Deutschland ist, besuchen die Kinder und Jugendlichen jetzt unabhängig vom Alter die „DaZ-Klasse“ an der Regionalen Schule in Lübz. Die Abkürzung steht für Deutsch als Zweitsprache. Sie zu beherrschen gilt als überlebenswichtig und steht in der Rangfolge deshalb ganz oben. „Es ist erstaunlich, wie schnell die Mädchen und Jungen in der Regel lernen. Nach und nach nehmen alle dann am Unterricht in den anderen Klassen teil, was ich dem Fortschritt entsprechend entscheide“, sagt Lehrerin Sylvia Loskant, die sich auf das Angebot spezialisiert hat. Sie begeistere, welchen Fleiß die Kinder und Jugendlichen an den Tag legen, wie schnell sie lernen und wie wissbegierig sie sich zeigten. Der laufende Wechsel auch während des Schuljahres liege darin begründet, dass die Eltern zum Beispiel wegen eines Arbeitsplatzes oft wegziehen, wenn über die Aufenthaltsgenehmigung entschieden wurde. Genannte Kinder wohnen überwiegend in Parchim und einige in Plau am See. Zur Schule gehen sie in Lübz, weil die DaZ-Klassen im Wohnort schon voll sind.

Mustafa beherrscht drei Sprachen, konnte aber weder lesen noch schreiben, als er geflüchtet war. „Mit seiner Intelligenz hat dies nichts zu tun“, sagt Sylvia Loskant. „Das sieht man schon daran, dass er erst seit Februar hier lernt, aber bereits Deutsch sprechen kann.“ Das Miteinander in der Gruppe bezeichnet die Lehrerin als gut. Dort auftretende kleine Streitigkeiten gebe es wie überall: „Es sind ganz normale Kinder, wie sie jeder kennt, nur dass sie aus einem anderen Kulturkreis kommen.“

Vorurteile gebe es vermutlich mehr oder weniger ausgeprägt bei jedem, doch die Pädagogin rät dazu, sehr vorsichtig mit ihnen umzugehen. Allein die völlig andere Intonation der Sprache etwa könne zu gänzlich falschen Schlussfolgerungen führen. Die Kinder hätten mit vielen Vorurteilen zu kämpfen, und dies bei weitem nicht nur durch Deutsche, sondern bei interkulturellen Auseinandersetzungen, die zwischen den verschiedenen Volksgruppen ausgetragen werden.