
Ole Clasen spürt seit 22 Jahren Ladendiebe auf. Auch in Parchim ist er für einen Haushalts-Discounter undercover im Einsatz
Zwei räuberische Elstern sorgten vor nicht all zu langer Zeit für Aufsehen, als sie in der Parchimer Innenstadt auf „Schnäppchenjagd“ gingen und in einem Haushalts-Discounter überführt wurden. Für Furore sorgte der Fall, weil die mit einer deutlich kompakten Figur gesegneten Ladendiebinnen, die offenbar noch eine dritte Komplizin am Start hatten, nicht nur ein Mordsgezeter anstimmten, sondern sogar gewalttätig gegenüber der zierlichen Verkäuferin und dem athletischen Ladendetektiv wurden, um sich die Flucht zu erzwingen. Es nützte alles nichts, am Ende konnte das rabiate Duo der Polizei übergeben werden.
Der Ladendetektiv, der dem Beutezug der Frauen ein Ende setzte, heißt Ole Clasen. Als Mitarbeiter der Wiking Wach- und Werkschutz GmbH ist der 46-Jährige auch regelmäßig in der Parchimer Mäc Geiz Filiale undercover im Einsatz. Sie ist eines der kleinsten Objekte, die Clasen als IHK-geprüfte Schutz- und Sicherheitskraft betreut. Den Job als Detektiv im Einzelhandel macht er nun schon seit 22 Jahren. Sein Einsatzgebiet reicht von Memmingen bis Flensburg, von Bonn bis Gera. Mit seiner Familie lebt er in Schleswig-Holstein.
Alle Abgründe der Menschheit erlebt
„Ich habe schon in alle Abgründe der Menschheit geblickt. Egal ob Schüler auf Süßigkeitenbeute, Jugendlicher, gut abgesicherte Haus- frau oder Geschäftsfrau, Obdachloser, Heimwerker, Beamter in gehobener Position, Rentner mit seinem Hackenporsche oder Junkie – geklaut wird in jeder Altersgruppe und in jeder gesellschaftlichen Schicht“, weiß der erfolgreiche Detektiv. Einmal erwischte er einen Drogenabhängigen, der sich vor seinen Augen sein letztes Heroin spritzte, bevor er zur Therapie einrückte. Die Hygieneartikel für den Klinikaufenthalt hatte er sich komplett zusammengeklaut: einen Rucksack voll von der Zahnbürste bis zum Deo.
Clasen ist es wahrlich nicht nur einmal passiert, dass ihm mutmaßliche Ladendiebe aus der Szene statt des Ausweises den Aids-Pass präsentierten. Mit einem sehr eindeutigen Angebot wollte sich ein 14-jähriges mit Drogen voll gepumptes Mädchen aus der Affäre ziehen, nachdem sie beim Diebstahl erwischt wurde. Den geklauten Sprit wollte sie an der nächsten Ecke verticken, um flüssig für den nächsten Schuss zu sein. Weil er zur richtigen Zeit am richtigen Ort war, konnte Clasen aber auch jenen akkurat gekleideten Herrn dingfest machen, der einen DVD-Player im Wert von 3000 Mark direkt aus der Ausstellung mitgehen ließ: Die Geräte waren damals als neuester technischer Schrei gerade erst auf den Markt gekommen.
Der Kaufhaus-Detektiv plaudert locker und gut gelaunt aus der Schule: Männliche Täter würden sich häufig beim Baumarkt-Besuch Batterien oder andere Kleinigkeiten als Prozente geben – sozusagen als ihr kleiner innerer Parteitag. So verfiel ein Heimwerker, der quasi sein gesamtes Badezimmer in einer großen Baumarkt-Kette gekauft hatte, der Versuchung, eine Tube Silikon zum Preis von zwei Euro an der Kasse vorbei zu schmuggeln. Er hatte sie mit in die Duschkabine reingestopft.
Schon einige Blessuren eingesteckt
Zu seinen pikantesten Fällen zählt Clasen die Sache mit dem Bundeswehrangehörigen von oberstem Rang, den er in einem großen Einkaufszentrum überführte: „Ich weiß noch ganz genau, was im Korb lag, als er in die Molkereiprodukte-Abteilung ging: zwei Stangen Steckis, zwei Flaschen Whiskey und zwei Flacons Gabriela Sabatini. Als er zurückkam, hatte er nichts mehr außer Milch im Wagen.“ Der Detektiv wartete wie üblich ab, bis der Kunde, der seine Dienstuniform trug, die Kasse passiert hatte und vor die Tür getreten war. Dann spulte er seinen Standardsatz ab: „Kann es sein, dass Sie etwas vergessen haben, zu bezahlen?“ Was Clasen in diesem Fall so nicht erwartet hatte: Der Ertappte knickte auf der Stelle ein und presste vor lauter Scham nur noch heraus: „Bitte machen Sie das diskret.“
Überhaupt versuchen die meisten Sünder, sich mit dem Satz: „Können wir das nicht irgendwie regeln?“ vor der Verantwortung zu drücken. Nein, können wir nicht.
Obwohl der Detektiv stets darauf bedacht ist, behutsam und besonnen vorzugehen, läuft dieser äußerst sensible Moment der Überführung längst nicht immer so ruhig ab: Auch Ole Clasen hat schon viele heikle Situation erlebt. Einmal erlitt ein Kunde sogar vor lauter Schreck vor seinen Augen einen Herzinfarkt. Bleibende „Erinnerungen“ daran, dass Clasens Job ganz und gar nicht ungefährlich ist, sind zwei Narben im Gesicht und einige Blessuren an den Händen. Gegen verbale Drohungen a lá „Ich mache ganze Magazin bum bum“ hat er sich ein dickes Fell zugelegt. Niemals würde er Verdächtige z. B. bis ins Parkhaus oder durch einen S-Bahn-Schacht verfolgen, denn ein lebenswichtiger Grundsatz in der Branche lautet: Eigensicherung kommt vor Warensicherung.
Andersherum müsse man sich beim Einsatz oft lange motivieren können. Der ganz normale Arbeitsalltag ist nämlich längst nicht so spektakulär und spannend wie ein Krimi, wie mancher glauben mag. Ladendiebe kommen ja nicht auf dem Präsentierteller daher und gerade reisende Profis in organisierten Strukturen, die es auf große Warenwerte abgesehen haben, verstünden ihr Handwerk ausgesprochen gut. „Das sind Jungs, die haben echt was auf dem Kasten.“ So war der Ladendieb-Jäger regelrecht baff, als er mitbekam, dass eben ein solcher Profi einen Kinderbadeanzug ganz eng am Körper trug, um darin massenhaft Thermostate aus dem Baumarkt zu schmuggeln. Aber Clasen ist natürlich auch Profi: Da kann es schon mal passieren, dass er seinen Beobachtungsposten auf einem Hochträger bezieht und damit einen ganz anderen Blickwinkel auf den Einkaufstrubel als die Kameras hat. „Wenn du den Leuten so viele Jahre beim Einkaufen zugeschaut hast, hast du ein Auge dafür, wer etwas im Schilde führt.“ Ein Dieb bewege sich ganz anders, eben kundenuntypisch, durch die Filiale. So beginnen die Alarmglocken bei Clasen sofort zu schrillen, wenn jemand mit mehreren handelsüblichen alu-beschichteten Kühltüten den Laden betritt oder die Verdecke von Kinderwagen mit so genannten „Spucktüchern“ verhüllt sind. Ein alter Hut ist die Masche, Kinderwagen für Diebestouren mit Alufolie zu präparieren, um so an der Beute die Diebstahlssicherung zu deaktivieren. Statt Babys wurden darin schon Bohrmaschinen, ein elektrischer Fuchsschwanz und Klamotten gebettet. Drogenabhängige verraten sich oft durch typische Gebrauchsspuren am Gürtel und durch ihre „Straßen“ auf den Händen.
Jeder Tag bringt neue Überraschungen
„Ich weiß morgens, wenn ich anfange, nicht, was passiert, bis ich abends ausstemple.“ Doch genau das macht für Clasen den Reiz seines Berufes aus. Dass er autonom, mit freier Zeiteinteilung arbeiten darf, stachelt seinen Erfolgshunger auf „fette Beute“ an. Als Reisender, der so gut wie täglich an einem anderen Ort ist, hat er längst den Dreh raus, wie sich das Dienstliche mit dem Angenehmen verbinden lässt. In Parchim schwört er zum Beispiel auf die Erbsensuppe aus der Gulaschkanone vom Wochenmarkt. „Die gibt es so bei uns im Westen nicht. Ich freue mich immer wieder, wenn ich an einem Mittwoch hier bin.“ Wenn er in Aachen im Einsatz ist, legt er eine kleine Schleife nach Belgien ein, um sich dort mal wieder ne Portion Pommes zu gönnen.
In die Branche reingerutscht ist Ole Clasen eher zufällig: Er war damals aktiver Bodybuilder, fand über den Kraftsport zu einem Sicherheitsdienst, von dem er als Türsteher angeheuert wurde. Es dauerte nicht lange, da sollte er nur mal für vier Tage als Kaufhausdetektiv aushelfen. Schon am ersten Tag gingen ihm drei Ladendiebe ins Netz, seine Erfolgsquote war von Anfang an auf hohem Niveau, egal wo er zum Einsatz kam: in den Filialen aller gängigen Baumarkt-Ketten, in Discountern, Supermärkten, Drogeriefachmärkten, in Klamottenläden namhafter Ketten, in den großen Centern oder den so genannten Alleinlagen, und natürlich in der Königsdisziplin: in den Unterhaltungs-Elektronik-Abteilungen.
Vor elf Jahren fand Clasen schließlich zu seinem heutigen Arbeitgeber in der etwa 1500 Mitarbeiter zählenden deutschlandweit agierenden Unternehmensgruppe Wiking, die Dienstleistungen rund um das Thema Sicherheit anbietet. Die Wach- und Werkschutz GmbH hatte bis dahin noch keine eigenen Kaufhausdetektive in Einsatz: Clasen baute die jetzige Struktur mit derzeit 35 Detektiven maßgeblich mit auf. Es könnten noch viel mehr Detektive sein, suchen Geschäftsführer Hans A. Schultz und Personalchefin Manuela Möhring händeringend Nachwuchs. In seinem Unternehmen ist Clasen heute hauptsächlich für die Akquise neuer Auftraggeber, die Ausbildung von Azubis, die Betreuung der Großkunden und die Schulung ihres Personals zuständig. Als Zusatzdienstleistung bietet er u. a. an, sich bei Testdiebstählen und -käufen filmen zu lassen. Als Detektiv mit Leib und Seele könnte Ole Clasen jedoch nie darauf verzichten, sich weiterhin persönlich auf die Lauer zu legen, auch um den Marktleitern ein Signal zu geben, dass er noch selbst am Start ist.