Tino Schwarzrock im SVZ-Interview: Landrätin Kerstin Weiss (SPD) will von Problemen bei der Integration von Asylbewerbern ablenken
Nach unserem Beitrag „Welchen Wert hat Bürgerumfrage?“ vom 20. Oktober meldete sich der Kommunalpolitiker Tino Schwarzrock zu Wort. Das Kreistagsmitglied der Grünen sagt, die Umfrage zum künftigen Slogan für den Landkreis Nordwestmecklenburg sei nichts weiter als eine Marketingmaßnahme, mit der Landrätin Kerstin Weiss (SPD) von Problemen in der Kreisverwaltung ablenken wolle. SVZ-Redakteur Holger Glaner traf Tino Schwarzrock zum Interview.
Herr Schwarzrock, diesen Vorwurf kann man so pauschal nicht im Raum stehen lassen. Wie also wollen Sie ihn begründen?
Tino Schwarzrock: Die Notwendigkeit für einen neuen Slogan sehe ich nicht. Es gibt Wichtigeres zu tun. Statt dessen sollte sich Landrätin Kerstin Weiss lieber um die Probleme in ihrer Verwaltung in den Bereichen Jugend, Soziales und Ausländerbehörde kümmern. Diese drei Bereiche müssen endlich sinnvoll vernetzt, eine Koordinierungsstelle zur Integration von Ausländern geschaffen und die vielen dabei aktiven Ehrenamtler tatsächlich eingebunden werden.
Aber gibt es nicht Ansätze in diese Richtung? So ist der regionale Integrationsservice bereits im Jobcenter untergebracht worden, um hier kürzere Wege zu realisieren.
Das ist doch totaler Käse. Da ist doch nichts weiter passiert, als dass die Integrationslotsen vom AWO-Sitz in Wismar- Friedenshof ins Jobcenter umgezogen sind. Und das wird dann noch als bundesweites Vorzeigeprojekt gefeiert. Da fasse ich mir an den Kopf. Was bringt das denn für einen Mehrwert? Das ersetzt doch keine zentrale Koordinierungsstelle. Die Asylbewerber müssen trotzdem noch zu Jugend- und Sozialamt sowie Ausländerbehörde laufen. Und genau diese Verwaltungseinheiten sind sehr schlecht miteinander vernetzt, obwohl Bescheide und Leistungen gerade aus diesen drei Bereichen teilweise zwingend voneinander abhängen. Hier muss den Mitarbeitern von übergeordneter Seite geholfen werden, ihre Fachbereichs-Scheuklappen abzulegen und vernetzt zu denken und zu arbeiten, statt stur darauf zu verweisen an welcher Stelle ihre Zuständigkeit endet. Dieses „Zuständigkeits-Bingo“ ist schon für jemanden, der hier aufgewachsen ist, kompliziert genug.
So beträgt allein die Zeit, die nur dadurch ins Land geht, bis anerkannte Asylbewerber die für ihren elektronischen Aufenthaltstitel benötigten Fingerabdrücke abgegeben können, in Nordwestmecklenburg mehr als ein halbes Jahr. Und danach wartet er noch mal ein paar Wochen bis er seinen im Kreditkartenformat ausgestellten Aufenthaltstitel endlich abholen kann. In anderen Landkreisen halten die anerkannten Asylbewerber dieses Dokument bereits nach vier bis sechs Wochen in der Hand.
Was bedeutet dieser Zeitverzug für die betroffenen Asylbewerber?
Der elektronische Aufenthaltstitel soll den anerkannten Asylbewerbern die Möglichkeiten der Online-Kommunikation mit Behörden und Verwaltungen eröffnen und so helfen, Zeit und Kosten zu sparen. Doch daraus wird ja dann nichts. Darüber hinaus können diese Menschen kein Konto bei hiesigen Kreditinstituten eröffnen. Und auch die Anmietung einer Wohnung wird erschwert, Verträge und Anträge bei verschiedensten Stellen können damit oft nicht gestellt werden. Denn die als Ausweisersatz gedachte Übergangsbescheinigung ist kein offizielles Ausweisdokument.
Ein weiterer Kritikpunkt von Ihnen ist die angeblich mangelhafte Einbindung von Ehrenamtlern in die Integration von anerkannten Asylbewerbern.
In unregelmäßigen Abständen veranstaltet der Landkreis sogenannte Informationsveranstaltungen für Helfer aus dem Bereich Flucht und Asyl. Doch das sind für mich nicht mehr als Ruhigstellungstreffen. Da wird so getan, als ob alles super gut koordiniert ist. Doch wichtige Akteure aus der Verwaltung, die die an der Basis tätigen Ehrenamtler, insbesondere über aktuelle Verfahrensfragen informieren könnten, fehlen bei diesen Treffen. Warum haben wir es seit über einem Jahr nicht geschafft, verbindliche Regelungen und Verfahrensweisen mit dem Ehrenamt zu entwickeln? Ohne das Ehrenamt sähe die Verwaltung oft „alt“ aus, da hier viele Dinge vorbereitet und zugearbeitet werden und damit der Verwaltung die Arbeit enorm erleichtert wird. Da kann man auch mal über seinen Schatten springen und dem Ehrenamt die Aufmerksamkeit gegenüber bringen, die ihm gebührt. In anderen Landkreisen gibt es auch „runde Tische“ mit allen Beteiligten, an denen offen und ehrlich aktuelle Entwicklungen diskutiert und gemeinsame Lösungen entwickelt werden. Das sind bei uns nach wie vor interne Hinterzimmertreffen in denen sich die Verwaltungsakteure selbst beweihräuchern. Das Ehrenamt kann sich dann im Nachgang die Informationen mühselig selbst zusammensuchen.
Wenn dem so ist, wie Sie das beschreiben, klingt das nach einer durchaus gefährlichen Entwicklung.
Dem ist auch so. Hinweise und Anregungen der ehrenamtlich Tätigen werden kaum gehört, müssen von der Verwaltung aber ernst genommen werden. Sonst stecken diese Menschen irgendwann auf. Wenn es hier gelingt, auf Augenhöhe im Dienst der Sache zu kommunizieren, muss man sich auch nicht länger über irgendwelche Marketing-Maßnahmen unterhalten. Dann brauche ich keine vorgeschobene Bürgerbeteiligung um blumige Worte für einen neuen Slogan für den Landkreis Nordwestmecklenburg.