Wenn eine Person an Covid-19 erkrankt ist, wie viele andere Familienmitglieder werden angesteckt?
Haushalte gelten als wichtige Übertragungsorte für das Coronavirus. Das ist auch kein Wunder, denn in Haushalten ist das Ansteckungsrisiko – ähnlich wie in Büros oder Schulen – besonders hoch. Hier lassen sich die „Drei G“ Gefahrensituationen nicht vermeiden: geschlossene Räume, Gruppen und Gespräche in engem Kontakt mit anderen.
In den letzten Monaten konnte man beobachten, dass in vielen Familien mehr als eine Infektion auftrat. Die Ehefrau brachte das Virus von der Arbeit mit nach Hause und steckte ihren Mann an. Kinder infizierten ihre Eltern. Wenn nun eine Person an Covid-19 erkrankt ist, wie viele andere Familienmitglieder werden angesteckt?

Wissenschaftler haben dieses Ansteckungsrisiko ermittelt. Amerikanische Forscher um Zachary Madewell werteten 54 Studien mit mehr als 77 000 Teilnehmern aus China, Südkorea den USA und diversen anderen Ländern aus. Die Ergebnisse erschienen vor Kurzem in der amerikanischen Fachzeitschrift JAMA. Alle Arbeiten bezogen sich auf die erste Welle der Pandemie und den Sommer des letzten Jahres. Allerdings war das damals zirkulierende Virus deutlich weniger ansteckend als die aktuell grassierende Virusmutante B.1.1.7, die als etwa 60 Prozent infektiöser gilt.
Wie viele Familienmitglieder sich anstecken
Die sekundäre Erkrankungsrate gibt an, wie viele Menschen einer Gruppe sich anstecken, wenn ein Infizierter darunter ist. Über alle Studien zusammengenommen lag dieser Wert bei 17 Prozent. Rechnerisch steckt sich also in der Familie nur eine von sechs Kontaktpersonen an. Allerdings gab es große Unterschiede zwischen den Studien, mit einer Spannweite der sekundären Erkrankungsrate bei Haushaltskontakten zwischen 4 und 45 Prozent. Gründe dafür könnten die unterschiedlichen Lebensverhältnisse in den einzelnen Ländern sein oder die jeweiligen Vorschriften der Gesundheitsämter, wie mit Infizierten umzugehen ist.
Zusätzlich werteten die Forscher aus, in wie vielen Haushalten es überhaupt zu Übertragungen kam. Im Mittel fanden nur in jedem dritten Haushalt Übertragungen statt. Andererseits gab es Haushalte, in denen sich gleich alle Familienmitglieder ansteckten; in einer Studie traf dies auf jede vierte Familie zu. Das könnte darauf zurückzuführen sein, dass infizierte Personen nur während einer kurzen Zeitspanne ganz besonders ansteckend sind. Wenn sie genau in dieser Phase zu Hause sehr engen Kontakt zur Familie haben, verbreitet sich das Virus schnell von einer zur nächsten Person.
Erwachsene und Kinder
Erwachsene wurden häufiger durch ein erkranktes Familienmitglied angesteckt als Kinder: die sekundäre Erkrankungsrate Erwachsener lag bei 28 Prozent, die von Kindern nur bei 17 Prozent. Ehepartner steckten sich besonders häufig gegenseitig an, denn ihre sekundäre Erkrankungsrate betrug sogar 38 Prozent. Dieser Befund verwundert nicht, wenn man sich vor Augen führt, dass Lebenspartner besonders engen Kontakt haben und meist das Schlafzimmer teilen.
Ein weiterer Gesichtspunkt ist die Frage, ob man sich eher von einem erkrankten Kind ansteckt oder von einem infizierten Erwachsenen. Hierzu ergaben sich in drei Studien keine statistisch bedeutsamen Unterschiede, mit durchschnittlichen sekundären Erkrankungsraten von 15 Prozent durch Übertragung von Erwachsenen und 8 Prozent von Kindern. Ein erkranktes Kind kann also durchaus seine Eltern und Geschwister anstecken. Dieser Gesichtspunkt ist wichtig, denn in Deutschland lagen in der letzten Meldewoche die 7-Tages-Inzidenzen bei Schulkindern über 200 pro Hunderttausend. Wenn also Kinder häufig infiziert sind, können sie das Virus auch unbemerkt mit nach Hause bringen.
Leicht und schwer Erkrankte
Glücklicherweise scheinen Infizierte ohne oder mit nur geringfügigen Beschwerden seltener andere Familienmitglieder anzustecken als Erkrankte mit Symptomen. Laut vier verschiedenen Studien lag die sekundäre Erkrankungsrate, die von erkennbar kranken Patienten ausging, im Bereich von 18 Prozent, während vollkommen symptomlose Infizierte nur sehr selten Überträger waren. Ein Risiko ging vor allem von Kranken mit starkem Husten aus. Coronavirus-Infektionen werden ja durch Tröpfchen und Aerosole übertragen. Wenn der Ehemann im Nachbarbett nachts hustet, atmet die Frau zwangsläufig die ausgestoßenen Viren ein und kann sich auf diesem Weg anstecken.
Ausbrüche in Deutschland
Das Robert Koch-Institut informiert in seinen Lageberichten über Ausbrüche mit zwei und mehr Infektionsfällen. Bei vielen Infektionen ist zwar die Quelle nicht genau nachzuvollziehen. Jedoch wurden in der 15. Meldewoche zwei Drittel aller entdeckten Ausbrüche privaten Haushalten zugeordnet. Arbeitsplätze standen mit 9 Prozent an zweiter Stelle. An deutschen Schulen gab es nach der teilweisen Öffnung im März pro Woche zwischen 80 und 130 Ausbrüche, an denen wöchentlich etwa 400 Personen beteiligt waren. Infolge der Osterferien ging die Zahl der Ausbrüche in Schulen zuletzt deutlich zurück.
Fazit
In etwa jeder dritten Familie steckt sich mindestens ein weiteres Familienmitglied mit dem Coronavirus an, wie Studien aus dem vergangenen Jahr zeigten. Allerdings ist die jetzt bei uns grassierende B.1.1.7-Mutante ungefähr 60 Prozent infektiöser, so dass die aktuellen Ansteckungsraten in Familien höher liegen dürften. Ehe- und Lebenspartner stecken sich besonders häufig gegenseitig an. Auch Kinder übertragen Infektionen, was angesichts hoher aktueller Inzidenzen bei Minderjährigen bedeutsam ist. Dass die sekundären Erkrankungsraten nicht insgesamt größer sind, hat auch mit wirksamen Schutzmaßnahmen zu tun, die betroffene Familien auf Anraten ihrer Hausärzte und der Gesundheitsämter ergreifen. Sie verringern die Gefahr der Übertragung auf andere Familienmitglieder. Empfehlungen dazu findet man bei www.infektionsschutz.de und auf der Internetseite des Robert Koch-Instituts.