
Babyschwimmen, Pekip, Englisch im Kindergarten: Viele Eltern wollen schon ihre Kleinsten fördern. Alles Unsinn, sagt Hirnforscher Ralph Dawirs.
Babyschwimmen. Zehn Säuglinge werden von ihren Eltern durchs Becken geschoben. Ein kleiner Junge patscht juchzend ins Wasser, seine Eltern tauschen euphorische Blicke. Ein anderer Junge brüllt. Seine Mutter guckt verzweifelt. Sie versucht es mit einem Ball, einem Ring, einer Quietscheente. Keine Chance. „Er hat gerade noch geschlafen“, sagt sie erklärend. Ja, warum hat sie ihn dann geweckt?
Babymassage, Pekip und Babyturnen heißen die Termine der Kleinsten, später sind es Musikgarten, der Kunstkurs oder Englisch für Kita-Kinder. Kaum ein Kleinkind ist ohne Hobbys. Doch Eltern, die hoffen, ihren Nachwuchs damit zu fördern, liegen falsch, sagt Prof. Dr. Ralph Dawirs. „Frühförderung bringt nichts“, so der Professor für Neurobiologie. „Kinder brauchen keine Förderung, sondern ein vernünftiges Umfeld.“ Als Baby sind das zunächst einmal die Erfüllung ihrer Bedürfnisse, die Sicherheit, nicht allein gelassen zu werden und viel Körperkontakt.
Doch was Baby reicht, reicht Mama oder Papa oft noch lange nicht: Einige Eltern scheinen es kaum erwarten zu können, mit ihren Kleinen aktiv zu werden. Zumal sie sehen, dass auch andere Mütter nicht immer nur mit dem Spross auf dem Sofa kuscheln. Dabei brauche ein Säugling, so Ralph Dawirs, nichts als die enge Bindung zur Bezugsperson – in der Regel die Mutter. „Hier wird der Grundstein für emotionale Kompetenz und Empathie gelegt. Hauptsache Mutter und Kind sind zusammen.“
Delfi, Babyrhythmik oder Yoga mit Kind? „Dummes Zeug“, sagt Ralph Dawirs. „Damit wird ein Riesen-Reibach gemacht, aber für die Entwicklung des Kindes bringt es nichts. Im Gegenteil: Es schadet ihm, weil es die Eins-zu-Eins-Bindung stört.“ Aber was ist mit der Bewegung, dem Körperkontakt, den anderen Kindern? „Babymassage festigt Haut und Gewebe, stärkt die Muskulatur und wirkt positiv auf die gesamte Entwicklung“, liest man auf Internetseiten. Alles Unsinn, so Dawirs. „Ein gesundes Kind braucht keine Babymassage, Körperkontakt reicht. Und Säuglinge stören andere Säuglinge.“
Und später, wenn das Kind größer ist? Dann seien Phantasie und Spiel gefragt, so der Hirnforscher. Spielt ein kleines Kind in einer ruhigen Ecke leise vor sich hin, „läuft da eine Riesenarbeit im Gehirn ab. Förderung unterbricht solche Prozesse.“ Freiräume also statt fester Termine: „Eltern sollen das Spiel ihrer Kleinen nicht steuern, sondern Räume schaffen, in denen deren Entwicklungsprozesse ablaufen können.“ Das Ideal laut Dawirs: Kinder tollen unbeaufsichtigt mit anderen Kindern im Wald. Die Realität: Kinder sitzen oftmals in der Musikschule, beim Malunterricht oder im Haus der kleinen Forscher. Da werden dann Experimente zur Oberflächenspannung gemacht, die kein Kind begreife, kritisiert Dawirs. „Gehen Sie stattdessen raus und beobachten Wasserläufer auf dem Teich!“
Dabei spricht nichts gegen Hobbys, wenn das Kind Spaß daran hat. Nur sollten Mama und Papa nicht erwarten, dass sie dessen Entwicklung begünstigen. „Einem Kleinkind Englisch beizubringen widerspricht allen biologischen Mechanismen“, so Dawirs – denn das Gedächtnis sei im Kindergartenalter für Faktenwissen noch gar nicht ausgelegt. Stattdessen begriffen die Kleinen durch Nachmachen. Sprich: Wenn zu Hause jemand Englisch spricht, lernen die Kinder es automatisch. Wenn daheim musiziert wird, finden sie womöglich auch Spaß daran. Eine Struktur des Lernenmüssens dagegen fruchte noch nicht.
Studien zeigen, dass der Vorsprung eines Kindes, das schon zu Schulbeginn lesen kann, spätestens in der dritten Klasse verloren geht. Das bedeutet nicht, dass man einem neugierigen Kind das Lesen untersagen soll. Aber dass man es nicht vor Schulbeginn üben muss, weil man sich davon einen Vorteil verspricht. „Die Erwartungen der Eltern an die Frühförderung sind dramatische Irrtümer“, sagt Dawirs. „Sie machen sic h ohne Not einen fürchterlichen Stress.“ Stattdessen sollten sie viel Zeit mit ihren Kleinen verbringen und vertrauen. Den Eltern will er sagen: „Ihr macht es irgendwie alles richtig, weil es aus dem Bauch kommt.“