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Vereinbarkeit von Beruf und Familie

MARTIN LORENTZ, Fachanwalt für Arbeitsrecht legt einen aktuellen Fall dar

FOTO: PRIVAT

Der Fachkräftemangel macht es deutlich: Wenn möglichst viele Menschen ihr berufliches Können in produktive Arbeit umsetzen sollen, dann ist es wichtig, dass sie ihre berufliche Tätigkeit mit familiären Aufgaben oder sogar Pflichten gut vereinbaren können. Der Gesetzgeber hat hierfür in den letzten Jahrzehnten schon viel getan (Elternzeit, Pflegezeit, Anspruch auf Teilzeit etc.), aber wie sieht es in der Praxis aus? Familienfreundliche Arbeitszeiten und Bedürfnisse der Wirtschaft stehen manchmal in einem Spannungsverhältnis. Werden hier schon bestehende Spielräume ausreichend genutzt?

Hierzu ein Fall aus der Praxis: Eine junge Frau - seit 16 Jahren als Verkäuferin beim selben Arbeitgeber tätig - bringt Zwillinge zur Welt, die Paarbeziehung scheitert, der Vater zieht woanders hin. Die "Schwiegereltern“ interessieren sich auch nicht für die Enkel und die eigenen Eltern können aus gesundheitlichen Gründen keine Stütze bei der Betreuung sein. Zudem wohnen sie in einem anderen Ort. Die nun eineinhalbjährigen Zwillinge besuchen nach der Elternzeit eine Kita, die nur von 7 bis 17 Uhr geöffnet hat - jedenfalls in den Coronazeiten war das so. Die junge Mutter hat dem Arbeitgeber mitgeteilt, dass sie keine anderen Betreuungsmöglichkeiten als in der Kita hat und dabei noch Hol- und Bringezeiten zu beachten sind. Dennoch teilt er sie nur zu Schichten ein, die entweder vor der Öffnung der Kita beginnen oder nach der Schließung enden. Zudem soll sie auch am Samstag arbeiten, an der die Kita gar nicht geöffnet hat. Wenn sie das nicht könne, so der Arbeitgeber, möge sie doch einen Aufhebungsvertrag unterschreiben.

Die junge Mutter nimmt sich einen Anwalt und versucht, gerichtlich eine Anpassung ihrer Arbeitszeiten zu erreichen. Sie will zu einer schon immer vorhandenen (Mittel-) Schicht eingeteilt werden, die mit den Kita-Öffnungszeiten vereinbar ist, nämlich Montag bis Freitag in der Zeit zwischen 7.30 und 15 Uhr. Dies würde auch zu der mittlerweile verkürzten Wochenarbeitszeit von 35 Stunden passen. Sie verweist auf ihre besondere Situation als alleinerziehende Mutter von Zwillingen und dass die Schichteinteilung Rücksicht nehmen auch wenn andere MitarbeiterInnen auch Kinder hätten. Entweder seien deren Kinder schon größer oder es stehen andere Betreuungspersonen zur Verfügung, auf die die junge Mutter gerade nicht zurückgreifen kann. Da sie der Arbeitgeber nicht mehr zur Arbeit eingeteilt hat, jedenfalls nicht zu Zeiten, die innerhalb der Kita-Öffnungszeiten liegen, bezieht die kleine Familie nun seit Anfang letzten Jahres Sozialleistungen aus Steuergeldern, obwohl die Mutter in dem genannten Zeitkorridor arbeiten könnte. 

Das will der Arbeitgeber nicht. Er will sie stattdessen zu allen Zeiten einsetzen, wie alle anderen auch. In der ersten Instanz vor dem Arbeitsgericht hat die junge Mutter den Prozess verloren, obwohl auch dort gesehen wurde, dass vieles für ihren Standpunkt spreche. Nun hofft sie auf die zweite Instanz vor dem Landesarbeitsgericht in Rostock. Dieser etwas drastische Fall hat nun das Interesse von Außenstehenden geweckt. Die Entscheidung des Arbeitsgerichtes wird in einem juristischen Onlinemagazin ablehnend kommentiert: Die Mutter könne die Mittelschicht verlangen. Für die Prozesskosten der zweiten Instanz wird mittlerweile bundesweit gesammelt. Die junge Mutter hofft auf Verständnis bei den Richtern in Rostock für ihre Situation und auch für die Rechte ihrer Kinder. Vielleicht ist unter den Richtern ja auch eine Mutter, die ihre Situation besser verstehen kann, denkt sie. Das Gericht wird sich fragen müssen: Kann es unsere Arbeitswelt aushalten, wenn Arbeitgeber in besonderen Situationen auch besondere Maßnahmen ergreifen müssen, etwa eine günstige Schichteinteilung? 

Oder soll die Allgemeinheit für solche „Sozialfälle“ aufkommen und die junge Familie weiter Sozialleistung beziehen? Wäre dies nicht auch eine Benachteiligung von Kindern, die nicht in eine Paarbeziehung hineingeboren werden? Art. 6 Abs. 5 des Grundgesetzes verlangt für sie gleiche Bedingungen für ihre Entwicklung und soziale Stellung. Was folgt aus der Berufsfreiheit der Mutter? Kann sie einfach auf Bürgergeld verwiesen werden, obwohl sie arbeiten könnte und will? Und was ist überhaupt mit dem grundgesetzlichen Schutz der Familie? Wie können Sorgepflichten und Arbeitspflicht, wie hier nach Rückkehr aus der Elternzeit, besser vereinbart werden, damit alle möglichst weitgehend zu ihren Rechten kommen, auch die anderen Mitarbeiter? Hierüber wird das Landesarbeitsgericht Mitte Juli zu entscheiden haben. Wir halten alle Daumen für die junge Familie, dass Mutti die Mittelschicht bekommt und arbeiten darf.

MARTIN LORENTZ