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Interview Tilo Sarrazin Der Irrweg der offenen Grenzen

Von Rasmus Buchsteiner | 29.04.2016, 06:30 Uhr

Im Gespräch mit Thilo Sarrazin über die Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin, die Zukunft der AfD und über Schulklassen voller Ausländer

Thilo Sarrazin warnt erneut vor einer ungesteuerten Zuwanderung nach Deutschland. In seinem neuen Buch „Wunschdenken“ rechnet er jetzt mit der Flüchtlingspolitik von Angela Merkel ab. Mit dem  umstrittenen SPD-Politiker und Publizisten sprach Rasmus Buchsteiner.

War die Öffnung der Grenzen im Herbst 2015 wirklich ein Fehler?

Sarrazin: Es war sogar ein historischer Fehler. Auf der Welt gibt es nach einer UN-Schätzung 60 Millionen Flüchtlinge, viele davon wollen allein aus wirtschaftlichen Gründen zu uns. Eine wirksame Kontrolle von Einwanderung ist für Europa eine existenzielle Frage – demographisch, wirtschaftlich, kulturell. Jedes Land sollte selbst bestimmen können, wer kommt und wer nicht. Die Abkommen von Dublin und Schengen sind schon seit vielen Jahren nicht richtig angewendet worden. Frau Merkel hat mit ihren Entscheidungen den Zuwanderungsdruck noch verstärkt. Der Barmherzigkeit müssen wir Genüge tun, indem wir Kriegsflüchtlingen nah an ihrer Heimat helfen. Die Frage der Einwanderung müssen wir dagegen vom Ende her durchdenken.

Das hat Merkel nicht getan?

Die Politik der offenen Grenzen war ein Irrweg. Jetzt ist die Balkanroute geschlossen worden. Genau an diesem Punkt hätten wir schon vor einem Jahr sein können. Deutschland wären ein bis eineinhalb Millionen Flüchtlinge und illegale Einwanderer erspart geblieben. Helfen muss man vor Ort, die Probleme der Welt können nicht in Deutschland gelöst werden.

Die Flüchtlingskrise hat zu massiven politischen Umwälzungen geführt. Wäre man Ihrem Rat gefolgt, hätte es die jüngsten Erfolge der AfD nie gegeben?

Das ist offenkundig. Ich habe schon 2010 in meinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ auf die Gefahren einer falschen Einwanderung und eines wachsenden fundamentalistischen Islamismus hingewiesen. Dafür bin ich persönlich angefeindet worden. Man hat versucht, diese Warnungen zu verdrängen. Das hat sich gerächt.

Die von mir vorhersagten Probleme sind in vielfach verstärkter Form Wirklichkeit geworden. Und die demokratischen Parteien haben keine politische Alternative zu dieser Politik geboten. Es herrschte eine zuwanderungsfreundliche Einheitsmeinung – von der Union über SPD und Grüne bis zur Linkspartei. Das hat dazu geführt, dass immer mehr Wähler ihr Kreuzchen bei der Partei machen, die von sich behauptet, eine Alternative zu sein.

Die AfD punktet mit Ihren Thesen. Wie nahe fühlen Sie sich  Petry & Co.?

Ich bin da sehr gespalten. Es ist gut, dass durch die AfD bestimmte Themen, die bisher tabu waren, stärker in den Fokus geraten. Aber es ist traurig, dass man dafür die AfD gebraucht hat.

Die Zukunft dieser Partei wird davon abhängen, ob sie sich vom rechten Rand des politischen Spektrums ausreichend abgrenzt. Wenn ich Björn Höcke vor Deutschland-Fahnen vor der nächtlichen Kulisse des Erfurter Domplatzes seine Parolen schreien höre und die Menge dazu johlt, habe ich ungute Assoziationen. Zu Rechtsextremisten und Neonazis muss die AfD eine klare Trennlinie ziehen.

Sich bei der AfD zu engagieren, kommt für Sie nicht in Frage?

Ich bin Mitglied der SPD seit 1973. Eingetreten bin ich, weil ich für einen starken Staat bin, der wirtschaftliche Freiheit kombiniert mit sozialer Gerechtigkeit. Nicht ich habe mich geändert, sondern die SPD. Viele in der Führung haben ihren politischen Kompass verloren. Aber die SPD bleibt meine Partei.

Eine Zeitung hat geschrieben, Ihr Buch lese sich wie das AfD-Grundsatzprogramm, enthalte jede Menge Sozialdarwinismus…

Ich frage mich, ob der Autor das Buch überhaupt schon gelesen hat. Man muss mir schon nachweisen können, dass ich falsche Fakten nenne oder logische Fehler mache. Für manche Journalisten ist die Welt ein „Wünsch-Dir-was“. Ich wende mich gegen das verbreitete Gutmenschen-Denken in Deutschland. Da wird behauptet: Alle Menschen sind gut, und darauf wird dann ein ganzes Politik-Modell aufgebaut. Aber es sind nicht alle Menschen gut. Nicht in Deutschland und auch nicht draußen in der Welt. Wir müssen uns mit den kulturellen Gefahren einer ungesteuerten Zuwanderung aus dem islamischen Kulturraum ohne Wunschdenken auseinandersetzen.

Sie beschäftigen sich in Ihrem Buch mit der „kognitiven Kompetenz“ von Zuwandern. Wie kommen Sie zu der Behauptung, dass Flüchtlinge aus arabischen Ländern und  Afrika dümmer sind als wir Europäer?

Von Klugheit oder Dummheit spreche ich gerade nicht. Die kognitive Kompetenz ist ein etablierter Fachbegriff der Bildungsforschung. Sie wird in vielen Studien gemessen, unter anderem bei PISA. Die gemessene kognitive Kompetenz weist ein weltweites Gefälle auf: Die besten Werte werden in Ostasien erzielt. Dann folgen Europa und Nordamerika. Ziemlich am Ende steht der Nahe und Mittlere Osten, noch schlechter sind die in Subsahara-Afrika gemessenen Werte. Natürlich hängt das, was die Menschen kognitiv leisten können, unter anderem von der Qualität des Bildungssystems und der sozialen Herkunft ab, aber auch die angeborenen Gaben fließen hier ein. Gute Schulen fallen übrigens nicht als UFO vom Himmel. Sie sind selber Ausdruck des Entwicklungsstandes und der kulturellen Prägung einer Gesellschaft.

Was wollen Sie damit sagen?

Menschen aus Afrika und aus der arabischen Welt entstammen durchweg einer Kultur, in der Wissen und Lernen keinen besonders hohen Stellenwert haben. Mit dieser Prägung kommen diese Menschen zu uns. Solche Prägungen lassen sich bei Erwachsenen aber kaum ändern. Veränderung kann man vielleicht in der zweiten, dritten Generation erreichen. Wir sehen das ja an den Muslimen, die schon länger bei uns in Europa leben. Die Integrationsmängel halten bis heute an. Sie sind schlechter gebildet, häufiger arbeitslos und kriminell.

Folgt man ihrer Argumentation, sind alle Versuche der Integration, genetisch und kulturell bedingt, erst einmal zum Scheitern verurteilt. Machen Sie es sich da nicht zu einfach?

In meiner Analyse komme ich völlig ohne Genetik aus und hoffe sehr auf Erfolge durch bessere Bildung. Ich habe gerade eine Untersuchung gelesen über türkische Eltern in Deutschland. Viele von ihnen haben große Vorbehalte, ihre Kinder in Klassen mit vielen Ausländern zu schicken. Sie befürchten, dass dort weniger gelernt wird.

Diese Sorge haben auch die meisten deutschen Eltern. Darüber muss man reden! Ein immer größerer Teil von Kindern lernt mittlerweile in Klassen, in denen die Deutschen in der Minderheit sind. Dort integrieren eher die muslimischen Schüler die deutschen Klassenkameraden als umgekehrt. Angela Merkel ist mit ihrer Politik von solchen praktischen Problemen weit weg.

Woran liegt das?

Als Bundeskanzlerin ist Angela Merkel natürlich nicht für die Schulen zuständig. Aber sie sollte auch nichts tun, was die Arbeit der Schulen und die Integration vor Ort erschwert. Genau das hat sie aber getan, indem sie ohne jede Notwendigkeit die Grenzen für Millionen Einwanderer muslimischer Herkunft geöffnet hat.

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