In Wittenberg fand der Abschlussgottesdienst des Deutschen Evangelischen Kirchentags statt
Als die Sonne über der Wittenberger Elbwiese aufging, erklang leise, sphärische Musik aus den Lautsprechern. Noch etwas müde wischte sich der Stuttgarter Pfarrer Dieter Heugel den Schlaf aus den Augen. Und auch Petra und Julia Zott aus Oberoth schälten sich aus ihren Schlafsäcken. Gemeinsam mit gut 10 000 anderen Menschen hatten sie vor der Kulisse der Lutherstadt Wittenberg unter freiem Himmel übernachtet. Denn dort fand am Sonntag der Abschlussgottesdienst des 36. Deutschen Evangelischen Kirchentags statt.
Nach Angaben der Veranstalter nahmen daran rund 120 000 Menschen teil – darunter auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Rainer Haseloff (CDU). Die vom Trägerverein des Reformationsjubiläums verbreiteten Zahlen sind jedoch mit einer gewissen Vorsicht zu genießen: Die Shuttlezüge, die die Besucher am Morgen von Berlin nach Wittenberg bringen sollten, verkehrten oft weitgehend leer, und um 11 Uhr, eine Stunde vor Beginn, waren erst 50 000 Menschen auf dem Festgelände gezählt worden. „200 000 wären mir auch sehr lieb gewesen, aber 120 000 ist auch eine große Gemeinde und eine eindrucksvolle Versammlung“, sagte der Organisationschef des Reformationsjubiläums, Hartwig Bodmann.
Sie erlebten in jedem Fall den größten Gottesdienst, den Deutschlands Protestanten im Lutherjahr 2017 feierten. Entsprechend intensiv wurde gestern Luther gewürdigt: „Man kann den Beitrag Martin Luthers zu dem Teil der Welt, der durch Europa beeinflusst ist, gar nicht hoch genug einschätzen“, sagte der südafrikanische Erzbischof Thabo Makgoba in seiner Predigt. Luther sei zum Katalysator für Millionen Menschen geworden, das Mittelalter hinter sich zu lassen. „Er war einer der wahren Väter demokratischer Freiheit“, sagte Makgboa. Im heutigen Kontext interpretiert, könne die Reformation auch heute noch ein „globales Positionierungssystem für die nächsten 500 Jahre“ sein. Und der EKD-Ratsvorsitzende, Bischof Heinrich Bedford-Strohm, hoffte gar auf das Entstehen einer „Generation 2017, in der junge Leute aufbrechen!“ Das Ziel der Welt sei nicht Terror, Hass und Gewalt, sondern „der neue Himmel und die neue Erde, die Gott uns verheißen hat und in der alle Tränen abgewischt sind und kein Leid mehr sein wird.“
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der vor seinem Amtsantritt als Mitglied des Kirchentagspräsidiums selbst noch intensiv an der Vorbereitung des Protestantentreffens beteiligt war, würdigte den Kirchentag als „kostbare Gemeinschaft der Glaubenden und Feiernden, der Betenden und Singenden.“ Zudem sprach sich Steinmeier für noch engere Beziehungen zwischen Protestanten und Katholiken aus.“ Noch vor einem halben Jahrhundert wäre kaum denkbar gewesen, was wir nun an Gemeinschaft unter den christlichen Konfessionen erleben dürfen“, sagte Steinmeier. Der lebendige ökumenische Austausch sollte weiterentwickelt werden.
In den vergangenen Tagen hatten 106 000 Dauerteilnehmer beim Berliner Kirchentag mehrere tausend Veranstaltungen besucht. Höhepunkt war der Auftritt des ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama, der vor dem Brandenburger Tor mit Bundeskanzlerin Angela Merkel über christliche Verantwortung in der Politik diskutierte. Zu einem klaren Misserfolg entwickelten sich dagegen die so genannten „Kirchentage auf dem Weg“, die in Städten wie Magdeburg oder Dessau nur wenige tausend Teilnehmer anlockten.