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Flucht, Vertreibung, Neuanfang: Ihre Geschichte Wiedersehen war überwältigend

Von Redaktion svz.de | 29.07.2016, 00:00 Uhr

Herbert Knötel aus Ludwigslust trägt die Erinnerung an seine Heimat in Niederschlesien stets mit sich – trotz eines erfüllten Lebenswegs

Herbert Knötel wurde am 16. April 1940 in Hausdorf, Kreis Glatz, im Bezirk Breslau im ehemaligen Niederschlesien geboren. Er lebt heute in Ludwigslust und erinnert sich an Flucht, Vertreibung und Neuanfang.

Aufgewachsen bin ich bis zum 7. Lebensjahr in unserem schönen Dörfchen und wir waren alle glücklich und zufrieden. Sehr deutlich kann ich mich an das Zweifamilienhaus inmitten der Bergarbeitersiedlung erinnern. Wir bewohnten die linke Hälfte des Hauses und der Bruder meines Vaters die rechte. Meine älteren Geschwister Gerda, Else und Franz konnten unserer Mutter schon ganz gut zur Seite stehen. Sie gingen auch schon dort in die Dorfschule.

Mein Vater war Zeit seines Lebens Bergmann, die Mutter Hausfrau. Er arbeitete ausschließlich unter Tage. Niederschlesien war reich an Steinkohlevorkommen und es war der Broterwerb für viele Familien. 1945, nachdem die Siegermächte die Neuaufteilung Deutschlands beschlossen hatten, mussten wir wie viele andere unsere Wohnung räumen und in einen Uraltbau umziehen. Der Grund war, dass die Polen, die auch aus ihrer Heimat vertrieben wurden – deren Gebiete wurden von der Sowjetunion annektiert – nun unsere schönen Wohnungen bekamen. Viele Schlesier hatten zu diesem Zeitpunkt ihre geliebte Heimat schon verlassen. Für uns Kinder war die kleine Wohnung eine willkommene Abwechslung. Sehr deutlich sehe ich immer noch den kleinen Hügel neben dem Haus. Mit unserem Vater, der nun arbeitslos war, weil die Polen die Arbeit im Bergwerk übernahmen, machten wir ausgedehnte Wanderungen durch unsere schöne Berglandschaft, vor allem durch das Eulengebirge. Es lag ja direkt vor unserer Haustür. Dieser knapp 25 Kilometer lange Gebirgszug zwischen dem Waldenburger und dem Glatzer Bergland trennt die schlesische Ebene vom Glatzer Kessel. Auf seiner höchsten Erhebung, der 1014 Meter Hohen Eule, steht seit über 100 Jahren der 25 Meter hohe Bismarckturm. Bei klarer Sicht ist der Rundblick bis auf das Riesengebirge möglich.

Wir gehörten zum dritten und letzten Transport nach Deutschland. Der Grund war der, dass wir noch ein kleines Schwesterchen bekamen und auch kein Geld für den Transport hatten – der musste nämlich selbst bezahlt werden. Pro Nase waren das 500 Zloty. Natürlich hätten wir auch für immer bleiben können, aber dann hätten wir die polnische Staatsbürgerschaft annehmen müssen und das wollten wir nicht. So wurde unter den noch verbliebenen Deutschen gesammelt und wir konnten auch ausreisen, worüber wir noch heute dankbar sind. Im Sommer 1947 ging es los. Die Geburtsurkunde für unsere kleine Schwester war schon auf Polnisch verfasst. Es erschienen zur gegebenen Zeit zwei bewaffnete Polen und teilten uns mit, dass wir in einer Stunde das Haus zu verlassen hätten. Mitnehmen durften wir, was wir tragen konnten. Landkarten von Schlesien hatten auch da zu bleiben.

In Erinnerung ist mir noch die große stählerne Eisenbahnbrücke bei Hausdorf. Die sollte in den letzten Kriegstagen gesprengt werden, was aber nicht ganz gelang. Sie wurde dabei aber so baufällig, dass sie bei der weiteren Benutzung von stabilen Stämmen aus Eiche gestützt werden musste. Unser Zug fuhr also im Schneckentempo darüber. Alle hielten den Atem an. Viele beteten. Die Reise ging dann in Viehwaggons von Ludwigsdorf, Waldenburg nach Berlin zum Küchensee. Unser Ziel war dann Kirchhain im Kreis Finsterwalde, Bezirk Cottbus.

Ich wurde mit sieben Jahren in die Zentralschule Doberlug-Kirchhain eingeschult, beendete sie 1955 und lernte den Beruf eines Maschinenschlossers. Dann ging ich für vier Jahre zur NVA und war dann später als hauptamtlicher Mitarbeiter bei der FDJ tätig. Ein vierjähriges Fernstudium als Erzieher, später Lehrbefähigung als Berufsschullehrer und nach der Wende noch einmal Studium zum Sozialpädagogen rundeten meinen Lebensweg ab.

Seit 1976 lebe ich in unserer schönen Lindenstadt Ludwigslust. Ich war viele Jahre Stadtvertreter, leitete über 20 Jahre die Jagd- und Parforcehornbläsergruppe und bin im Vorstand des Heimatvertriebenenverbandes tätig. 20 Jahre, 16 Jahre als eingetragener Verein, betrieben meine Frau und ich den Ludwigsluster Heimtiergarten. In diesen Jahren hatten wir insgesamt 80 000 Besucher. Insgesamt können meine Geschwister und ich einschätzen, dass wir nach der Vertreibung einen erfüllten Lebensweg auch in der neuen Heimat gemacht haben. Natürlich zieht es einen von Zeit zu Zeit wehmütig zurück zu den eigenen Wurzeln. So waren wir 2009 in unserer alten Heimat und ich konnte mich an viele Einzelheiten erinnern.

Untergebracht waren wir in einer Herberge von hohem Niveau. Früher war es eine Herberge für die Hitlerjugend gewesen. Die Wirtsleute waren sehr bemüht um uns. Beim Rundgang durch das Dörfchen konnte ich mich an das alte Haus gut erinnern, in dem wir zuletzt gewohnt hatten. Es war aber abgerissen worden und an der gleichen Stelle stand ein neues modern gebautes Haus. Aber allein die Erinnerung an den kleinen Hügel neben dem neuen Haus und das Eulengebirge war überwältigend. Am schönsten für mich war mein Geburtshaus. Ich fand es ohne Hilfe meiner älteren Geschwister. Bemerkenswert war die Substanz des Hauses selbst. Es machte einen sehr gepflegten Eindruck. Für uns stand fest, dass wir nicht das letzte Mal in Hausdorf waren.