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Pleitegeschichten Scheitern, na und?

Von Anna Ringle | 17.05.2017, 05:00 Uhr

Ex-Unternehmer erzählen in Bars oder Clubs von ihren Pleitegeschichten – und wollen Menschen die Angst vor dem Versagen nehmen

Eine Bar abends im brandenburgischen Cottbus. Es ist voll und überwiegend junge Leute hören sich Berichte vom Scheitern an. Vor ihnen steht Andreas Brandt. Eigentlich klingt die Geschäftsidee des Cottbusers super. Bau-Modelle, die von Architekturstudenten für ihre Seminare an der Uni gefertigt werden, später an die Computerspiel-Branche verkaufen. Er und weitere Kollegen rechneten, erhielten Fördergeld und waren von ihrem Produkt überzeugt – bis der Kontakt zu Kunden kam, die den Traum zerschlugen.

Brandts Idee scheiterte. „Fuckup Nights“ heißen die Abende, die es in immer mehr deutschen Städten und im Ausland gibt. Das Konzept entstand vor Jahren in Mexiko. Unternehmer sprechen ein paar Minuten vor Publikum über ihre Pleite-Firmen – Scheitern soll nicht mehr als Makel empfunden werden.

Das „Fuckup-Night“-Konzept funktioniert so ähnlich wie Franchise – der Markenname wird an Bewerber vergeben, die die Abende organisieren. „Fuck up“ heißt übersetzt ungefähr so viel wie etwas versauen oder Mist bauen. „Das Scheitern ist für viele ein Schreckgespenst“, sagt der 32 Jahre alte Brandt, der inzwischen wieder eine Anstellung an der Uni hat und seine Firma – inzwischen verkleinert – weiterführt.

In Ostdeutschland sind solche Treffen immer häufiger zu finden. Neben Cottbus gab es sie auch schon in Dresden, Magdeburg und Erfurt. Demnächst soll es eine in Jena geben. In Leipzig lief eine „Fuckup Night“ speziell zur Buchmesse. In Städten wie Berlin sind sie längst etabliert. Dort steht laut Organisatoren bald das 20. Treffen an.

Aus Sicht der Industrie- und Handelskammer in Rostock (IHK) ist Scheitern auch in der Wirtschaft hierzulande stark stigmatisiert. „Zu Unrecht, denn eine Selbstständigkeit bringt es mit sich, dass nicht immer alles perfekt ist, man manchmal scheitern kann, vielleicht gar muss“, sagt IHK-Präsident Claus Ruhe Madsen. Der Bundesverband Deutsche Startups fordert mehr gesellschaftliche Akzeptanz für Firmenpleiten: „Wir brauchen eine Kultur des Scheiterns in Deutschland oder wenn man es optimistischer formulieren möchte: Eine Kultur der zweiten Chance.“ Und das Gründungsservice-Team der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus?Senftenberg (BTU), das die „Fuckup Night“ in Cottbus mit der Friedrich-Naumann-Stiftung organisierte, meint: „Gerade in Deutschland ist es verpönt zu scheitern, sei es im Job, familiär oder gerade mit dem eigenen Unternehmen.“ In Ostdeutschland sind neben der „Fuckup Night“ auch andere Formate rund um die eigene Firma zu finden. In Rostock gibt es einen sogenannten Ideenhafen. Das Prinzip: Freiberufler, Start-ups oder Studierende berichten von ihren Geschäftsideen und bekommen von anderen Feedback.

Im Süden Sachsen-Anhalts versucht die IHK Halle-Dessau, den Gründungswillen zu fördern. Unter anderem gibt es ein Projekt mit Unternehmern und Schulen: Firmeninhaber stellen Schülern ihre Geschäftsideen und ihren Werdegang zum Unternehmer vor, wie es von der Kammer heißt. Oftmals sei die Lage in der Region so, dass Firmengründungen nicht zustande kommen. Viele bevorzugten wegen der guten Arbeitsmarktsituation das Angestelltenverhältnis. Als weiterer Grund wird zu wenig Eigenkapital aufgezählt. Außerdem machten sich viele zu wenige Gedanken vor ihrer Gründung über ein Alleinstellungsmerkmal ihrer Geschäftsidee.

In Deutschland sind die Zahlen der Firmeninsolvenzen rückläufig. Laut Statistischem Bundesamt gab es im vergangenen Jahr 21 518 Firmenpleiten, 2015 noch 23 101. Allerdings sind nicht in allen Bundesländern die Zahlen sinkend. In Brandenburg und Sachsen etwa stiegen die Firmenpleiten. Generell sieht der Verband der Insolvenzverwalter Deutschlands (VID) keine Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland, was Insolvenzen betrifft. Die Unternehmensgruppe Creditreform zählt in einer Analyse zu Insolvenzen 2016 risikobehaftete Branchen in einer Top-Ten-Liste auf. An erster Stelle stehen dort Umzugstransporte, gefolgt von Bars, Post- und Kurierdiensten sowie Detekteien. Auch Diskotheken, Restaurants und Cafés sind darunter.

Bei mehr als 90 Prozent der Firmenpleiten handelt es sich nach VID-Angaben um kleine Firmen mit weniger als zehn Mitarbeitern. Die meisten Insolvenzen gebe es bei Unternehmen in den ersten drei bis fünf Jahren ihres Bestehens. Typische Gründungsfehler seien der falsche Standort, ein nicht durchfinanziertes Konzept oder ein Überangebot. Der VID-Vorsitzende Christoph Niering sagt: „Der fünfte Friseur im Viertel oder das Café ohne Außenfläche scheitern dann häufig.“