Die Kosten steigen, die Kunden kaufen weniger ein – die Ernährungswirtschaft in MV steckt in der Bredouille. Was Verbraucher erwartet.
Katerstimmung in der Probierstube: Die Krise erreicht eine der wichtigsten Wirtschaftsbranchen in MV. Den Unternehmen der Ernährungswirtschaft geht das Geld aus. Nach deutlichen Kostensteigerungen für Energie, Roh- und Hilfsstoffe sowie Personal bangen Nahrungsmittelproduzenten in Molkereien, Käsereien, Fleischfabriken, bei Getränkeherstellern oder Gemüseproduzenten im Land ums Geschäft. Trotz steigender Umsätze in jedem dritten Unternehmen seien in jeder zweiten Firma in den vergangenen Monaten die Erträge gesunken, geht aus einer Branchenumfrage der Marketinggesellschaft der Agrar- und Ernährungswirtschaft (AMV) hervor.
Die Unternehmen blieben auf den Kosten sitzen: Vielen gelinge es nicht, die gestiegenen Produktionskosten durch höhere Preise wieder reinzuholen. Mehr als jedes dritte Unternehmen habe keine Preissteigerungen durchsetzen können, geht aus der Umfrage hervor. Knapp 47 Prozent hätten wenigstens teilweise die höheren Belastungen dem Handel in Rechnung stellen können.
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Experte erklärt: Darum führt an höheren Preisen kein Weg vorbei
Die Verbraucher spüren es im Portemonnaie: Sie müssen sich auf weiter steigende Preise einstellen. Ein Preisrutsch sei vorerst nicht in Sicht, meinte Tobias Blömer, AMV-Verbandschef, im Vorfeld eines Branchengipfels am Donnerstag in Rostock. Im Gegenteil: Weiter steigende Löhne, steigende Mautkosten für Verarbeiter, Vorlieferanten und Handel, höhere Rohstoff- und Energiekosten: „An höheren Preisen führt kein Weg vorbei“, erwartete Blömer: „Wenn wir im Markt bleiben wollen, müssen wir die Produkte teurer machen.“
Das treffe die gesamte Branche. So seien Preissteigerungen im einstelligen Prozentbereich bis an die Grenze der Zweistelligkeit in diesem und kommenden Jahr notwendig, meinte Blömer. Offen sei allerdings, ob sich höhere Preise im Handel durchsetzen ließen.
Firmen in MV leiden unter höherem Kostendruck
Ohnehin hielten die Verbraucher derzeit das Geld zusammen: „Die Kunden wollen Geld sparen und kaufen weniger und billiger“, beobachtete Blömer. Viele würden inzwischen sehr sensibel reagieren, wenn sie statt 70 auf einmal 100 Euro für ihren Einkauf zahlen müssten.
Für die Betriebe sei es indes schwer, derzeit Geld zu verdienen, meinte der Verbandschef. Der Vorzeigebranche in MV drohe ein Dämpfer in der Entwicklung: „Der Kostendruck wird immer stärker“, sagte Blömer.
Darum sind Lebensmittel in Polen günstiger als in Deutschland
Vor allem in der Geflügelverarbeitung: Derzeit würde Billig-Ware aus dem Ausland den Markt überschwemmen, kritisierte Armin Kremer, Chef der Mecklenburger Landpute in Severin nahe Parchim. Hersteller in Polen, der Ukraine oder Tschechien könnten zu deutlich niedrigeren Kosten produzieren. Zudem müsse sich dort keiner an die höheren Standards wie in Deutschland halten. So könnten beispielsweise Hähnchenbrustfilets 25 bis 30 Prozent billiger angeboten werden.
In der Ernährungswirtschaft in MV arbeiten in den 88 Betrieben mit mehr als 50 Mitarbeitern über 14.400 Beschäftigtet. Die Branche erwirtschaftet einen Jahresumsatz von rund 4,5 Milliarden Euro. Der Anteil der Ernährungsindustrie am Gesamtumsatz des Verarbeitenden Gewerbes beträgt etwa 33 Prozent. Nimmt man noch die Umsätze der Futtermittel- und Getränkeindustrie hinzu, würde der Umsatzanteil auf 36,8 Prozent steigen. Die Ernährungswirtschaft ist damit innerhalb des verarbeitenden Gewerbes sowohl gemessen an der Zahl der Beschäftigten als auch nach dem Umsatz der größte Industriezweig in Mecklenburg-Vorpommern.
Quelle: AMV
Derzeit hätten die Geflügelproduzenten vor allem mit Billig-Ware aus der Ukraine zu kämpfen, für die zuvor Zölle erhoben worden sei, beklagte Kremer: „Das sorgt für Marktverzerrungen“, gegen die sich heimische Firmen kaum wehren könnten. Deshalb sollte dem wenigstens mit Zöllen Einhalt geboten werden. „Damit wir weiter existieren können, muss der Markt geschützt werden“, forderte Kremer. Solange zollfrei Billigprodukte eingeführt würden, die regionale Produkte im Preisvergleich deutlich unterbieten, werde die heimische Wirtschaft immer stärker unter Druck geraten und zurückgedrängt, heißt es beim AMV.
Jede vierte Firma aus der Ernährungsbranche baut Personal ab
Der Branche geht es an die Substanz: Mittlerweile denkt jeder vierte Firmenchef der Ernährungswirtschaft über Aufgabe oder Verkauf der eigenen Firma nach, gaben die Unternehmen in der AMV-Umfrage an. Inzwischen hat jede vierte Firma bereits ihr Personal reduziert. Auch Landpute-Chef Kremer schloss nicht aus, die Produktion drosseln zu müssen, um weiter bestehen zu können: „Wir müssen in alle Richtungen denken, wenn wir existieren wollen.“
Das kosten Lebensmittel in MV 2023 mehr
Zuletzt hatten vor allem auch die weiter hohen Lebensmittelpreise die Inflation in MV weiter angeheizt. Fast 30 Prozent mehr für Weizenmehl, etwa ein Viertel mehr für Kartoffeln und Marmelade, fast 20 Prozent mehr für Fischkonserven und fast 80 Prozent für Zucker: Im August mussten Verbraucher im Nordosten im Schnitt 8,9 Prozent mehr für Lebensmittel ausgeben als vor einem Jahr, ermittelte das Statistische Amt. Butter war hingegen um etwa ein Drittel wieder billiger geworden. Im Juni waren die Preise im Schnitt gar um 13,1 Prozent gestiegen.
Die Ernährungsbranche fordert indes Hilfe vom Land: So müssten vor allem die Absatzförderung für die vielen kleinen und mittleren Unternehmen wieder aufgestockt werden und beispielsweise der Aufbau von Gemeinschaftsstände auf Messen besser unterstützt werden, forderte AMV-Chef Blömer. Zudem brauche es für die für MV so wichtige Branche endlich klare Zuständigkeiten in der Landesregierung, statt verschiedene Verantwortlichkeiten in Wirtschafts- und Landwirtschaftsministerium. Blömer: „Das wäre ein Signal für die Branche.“