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Rübe ab Nicht nur Mord und Totschlag

Von klik | 11.10.2016, 12:00 Uhr

Der Schweriner Bert Lingnau unternimmt einen literarischen Streifzug durch 600 Jahre Kriminalgeschichte Mecklenburgs und Vorpommerns

Was heute Enkeltrickbetrüger sind, war vor 200 Jahren Friedrich Karow. Er behauptete, Schätze heben zu können. Wer ihm eine kleine Menge von der Erde brachte, in der er einen Schatz vermutete, bekam alsbald eine „Expertise“ – und musste dann nur noch die Kaution für einen ganz besonderen Kelch hinterlegen, der für das Ritual zum Heben des Schatzes benötigt wurde. Karow ließ sich das Geld gewöhnlich an Orten übergeben, die über einen Hintereingang verfügten – und machte sich durch diesen ungesehen davon.

Aufgeschrieben hat seine Geschichte Bert Lingnau. Zusammen mit 47 weiteren authentischen Kriminalfällen schildert der ausgebildete Rundfunk-Journalist und heutige Direktor der Landesmedienanstalt sie in seinem Buch „Rübe ab!“, einem kriminellen Reiseführer durch Mecklenburg und Vorpommern. Das Buch ist sozusagen eine Zweitverwertung, denn alle Kriminalgeschichten sind zuvor bereits im „Kulturkalender“ des Klatschmohn-Verlages erschienen, dessen freier Autor Lingnau seit 2005 ist und in dem er seit November 2008 monatlich je einen alten Kriminalfall beschreibt. „Fast genau 100 sind seitdem zusammengekommen“, erzählt der Schweriner. Soweit das möglich ist, hätte er sich auch immer die jeweiligen Originalschauplätze angeschaut, also auf kriminellen Spuren eine Reise durch das Land unternommen. „Meine Schwiegerel-tern waren es dann, die vor anderthalb Jahren fragten, ob ich aus alldem nicht auch ein Buch machen wollte.“ Schließlich sind aus Lingnaus Feder schon zwei andere Bände mit Kriminalfällen auf dem Markt.

Er hätte dann eine Auswahl getroffen: „Es sollte ja nicht nur um Mord und Totschlag gehen, und auch geografisch musste es passen.“ Herausgekommen ist ein Kaleidoskop des Verbrechens aus gut 600 Jahren, Münzfälscher spielen darin ebenso eine Rolle wie Hühnerdiebe, unglückliche Duellanten und eifersüchtige Landwirte.

Letzterer tötete im Februar 1939 zuerst in Graal-Müritz seine von ihm getrennt lebende Ehefrau und deren Mutter, dann in Stralsund den vermeintlichen Liebhaber seiner Frau und schließlich sich selbst. Für Bert Lingnau ist der Fall des Gutspächters Ernst Lorenz einer, der ihm besonders nahegegangen ist, „denn ein Sohn lebt heute noch“. Er hätte ihm erzählt, dass die Tat jahrzehntelang totgeschwiegen worden war, den Kindern wurde stattdessen erzählt, dass die Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen wären. Erst als 80-Jähriger fand der Sohn im Nachlass eines Bruders Hinweise darauf, dass das nicht stimmte – und recherchierte schließlich die Wahrheit.

Sein Buch erzähle von Menschen in Extremsituationen und werfe anhand von Einzelschicksalen Schlaglichter auf die Sitten-, Kultur- und Rechtsgeschichte Mecklenburgs und Vorpommerns, erklärt Bert Lingnau. Sein eigenes Faible fürs Kriminelle reiche bis in die Kindheit zurück, „die ersten Kriminalgeschichten, mit denen ich in Berührung kam, waren Märchen – aber das habe ich damals natürlich gar nicht so wahrgenommen.“ Später dann hätten ihn die Krimis des schwedische Autorenpaars Maj Sjöwall und Per Wahlöö in den Bann gezogen, „weil darin immer auch Sozialkritik verpackt war“, noch später Henning Mankell.

Auch wenn er in Archiven, vor allem aber im Internet jeden seiner Fälle gründlich recherchiert: „Rübe ab!“ ist keine wissenschaftliche Abhandlung, wie Bert Lingnau betont – und wie auch schon der Titel deutlich macht. „Manch einem ist er zu salopp“, weiß der Schweriner – aber als Bild wäre er kaum zu übertreffen. Denn so mancher Übeltäter hätte mit seinen Taten Chaos und Durcheinander gestiftet, also „Kraut und Rüben“ hinterlassen, wie man auf dem Land sagt. Und dafür hätte es zum Teil drakonische Strafen gegeben, bis dahin, dass der Kopf, also die Rübe, abgeschlagen wurde. Die Scharfrichter, so Lingnau, übten das im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit im Übrigen mit richtigen Rüben…

 

 

„Rübe ab!“ von Bert Lingnau ist im Klatschmohn-Verlag erschienen (ISBN 978-3-941064-62-1) und kostet 9,80 Euro. Im Rahmen der Schweriner Literaturtage liest der Autor am 7. November um 19.30 Uhr in der Schweriner Stadtbibliothek daraus.