Auf Rügen wird ohne Ende gebaut – Architekten blicken kritisch auf die Qualität
In der Villa Klünder an der Binzer Strandpromenade stecken mehr als 100 Jahre Geschichte: Das prachtvolle, weiß verputzte Haus hat das Berliner Großbürgertum erlebt, das sich über Jahrzehnte zur Sommerfrische auf die Insel Rügen begab. Nach 1945 waren hier Flüchtlinge einquartiert, die Besitzer wurden bei der „Aktion Rose“ 1953 enteignet. „Das Haus wurde verschenkt, vererbt, enteignet und rückerstattet. Verkauft wurde es nie“, sagt Michael Gronegger, der 1995 die Villa als Nachfahre der Klünder-Familie übernahm und von Bayern auf die Insel Rügen zog. Das Haus – obwohl heruntergewirtschaftet und dem Verfall nahe – habe er nie als Last gesehen, sondern immer als Chance, sagt Gronegger. Rund 2,2 Millionen Mark Eigenkapital und 500 000 Mark an Fördermitteln investierte er in die Sanierung des Hauses mit 13 Ferien- und seiner eigenen Wohnung.
„Die Bäderarchitektur in Binz ist der Schatz des Ortes“, schwärmt die Binzer Fremdenführerin Franziska Boy. Mehr als 500 dieser zwischen dem Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts entstandenen weißen Villen mit ihren pittoresken Türmchen, Balkonen, Holzfassaden seien heute noch in Binz zu finden. Doch selten wohnen Einheimische – wie Michael Gronegger – in diesen Häusern im historischen Ortskern. „Die meisten der 5500 Einheimischen leben im Neubauviertel“, erzählt Boy. Mit dem Neubauviertel meint sie die zu DDR-Zeiten errichteten und nach der Wende sanierten Plattenbauten nördlich des Zentrums.
Zwischen den alten sanierten Villen stehen neue Häuser, über deren Aussehen gestritten wird. Oftmals sind es Zweitwohnsitze zur Selbstnutzung oder zur Urlauber-Vermietung. „Sie erfüllen die Kriterien der historischen Bäderarchitektur“, sagt Boy. „Sie sind wie ihre historischen Vorbilder weiß, quadratisch und haben Balkone.“ Doch sie wirken mächtiger: Dort, wo einst Gartenflächen und kleine grüne Oasen die Sommerfrischler zum Erholen einluden, parken oftmals Urlauberfahrzeuge oder stehen Anbauten mit weiteren Gästezimmern. „Statt wie früher 50 Prozent der Grundstücksfläche sind inzwischen rund 80 bis 90 Prozent bebaut“, sagt Boy.
Die Architektenkammer des Landes, die sich als Fürsprecher einer hochwertigen Baukultur versteht, sieht die Entwicklung in den Küstenzentren kritisch. Nicht nur, dass die Verdichtung in den großen, bekannten Seebädern zugenommen habe. Auch die Tendenz zum historisierenden, teilweise billigen Bauen sogenannter Kulissenarchitektur bereite Bauchschmerzen, sagt Kammerpräsident Joachim Brenncke. „Binz gehört zu den Orten, in denen es noch funktioniert mit der Bäderarchitektur“, sagt er. Aber auch hier sehe er die Gefahr, dass es kippe.
Heute loten Politiker und Investoren beim Immobilientag auf Rügen das Spannungsfeld zwischen der hohen Nachfrage nach neuen Projekten, deren Qualität und Quantität aus. Kritik an der Veranstaltung gab es bereits im Vorfeld. Die Liste der Eingeladenen sei einseitig, Kritiker nicht geladen, sagte die Bundestagsabgeordnete Kerstin Kassner (Linke). Bauen sei auf Rügen ein höchst brisantes Thema. „Die Immobilienblase wächst und wächst und lässt die Preise ins Utopische steigen.“ Einheimische würden aus den Zentren gedrängt.
Laut einer Erhebung der Immobilienfirma Engel&Völkers sind die Preise weiter gestiegen: Auf Rügen kostet ein Quadratmeter in sehr guter Lage zwischen 4250 und 10 000 Euro.