Volkstheater feiert „Spur der Steine“
Sonntagabend, Premiere im Großen Saal des Volkstheaters. Das Rostocker Publikum ist zahlreich erscheinen und wartet gespannt, dass der symbolische Vorhang sich hebt. Sollte dies nun der ersehnte Paukenschlag zum Auftakt der Spielzeit, zum Beginn der Intendanz von Joachim Kümmritz am Rostocker Volkstheater sein?
Der gewählte Stoff lässt hoffen. Mit „Spur der Steine“ hat der neue Theaterleiter Neugier und Lust geweckt. Der Roman (1964) von Erik Neutsch und der kurz nach der Premiere verbotene Film (1966) sind vielen ein Begriff und haben sich unauslöschlich in das kulturelle Gedächtnis der Ostdeutschen eingebrannt. Manfred Krug in seiner Rolle als Brigadeführer Hannes Balla, der Konflikt zwischen Partei und Individuum, der Glaube an eine Ideologie, die an den Menschen zerbricht und an der die Menschen zerbrechen. Ein starkes Stück für den Beginn der Spielzeit – wenn das Publikum über die Musiktheater-Premiere „Paris, Paris“ hinwegsieht, die gut gemeint, aber sicher kein großer Aufschlag gewesen ist.
Es hätte ein guter Anfang sein können – und bis zu einem gewissen Punkt ist es das auch. Mit dem Musiker Christian Kuzio hat Kümmritz in Komposition, musikalischer Leitung und Umsetzung schon mal eine gute Wahl getroffen. Nicht nur, dass der Rostocker Musiker sympathisch und authentisch die Bühne für sich erobert. Seine Lieder sind auch die treibende Kraft des Abends. Sie sind es, die Dynamik, Wut, Zärtlichkeit, Komik und Liebe in den Vortrag bringen. Denn der wäre ansonsten eher nackt.
Der Reihe nach: Regisseur Albert Lang hat zusammen mit Ilsedore Reinsberg eine neue Theaterfassung nach dem Roman von Erik Neutsch geschrieben. In ihren Ausführungen im Programmheft schreibt Reinsberg, sie hätten sich den Menschen im Zentrum der Geschichte nähern wollen, die „in einer vergangenen Zeit deutscher Geschichte auf einer fiktiven Baustelle namens ,Zukunft’ stehen. Was treibt sie an?“ Wie sie das machten, beschreibt die Autorin auch. Sie hätten einfach die Worthülsen und das offiziell ideologische Vokabular entfernt, schon habe sich die Basis der Geschichte zu erkennen gegeben.
Wie kommt dies nun auf die Bühne? Der Reihe nach treten die einzelnen Figuren auf. Hannes Balla (I und II: Christian Kuzio und Johannes Meißner), Kathrin Klee (Sabrina Frank), Werner Horrath (Paul Lücke) erzählen ihre Geschichte und die der Großbaustelle Schkona. Auf ihr begegnen sie Jochmann, den Bernd Färber mimt und dabei überraschende Musikalität an den Tag legt, Nick (Marten Pankow), Oberbauleiter Richard Trutmann (Steffen Schreier) und Jansen (Petra Gorr). Dabei werden diese Begegnungen nur berichtet. Auf der Bühne interagieren die Figuren so gut wie gar nicht. Jeder schildert Episoden aus seiner Sicht, die sich mal mehr, mal weniger schlüssig zu einem Ganzen zusammenfügen. Dabei wird nicht alles bis ins Detail geklärt. Während Ballas Gefühlen für Ingenieurin Kathi viel Raum gelassen wird, kommt Horraths Hadern mit der von ihm anerkannten Ideologie der Partei zu kurz. Die Fehlplanungen auf der Baustelle sind immer wieder Thema, aber die Intrigen und Doppelmoral der Funktionäre werden nur in Ansätzen thematisiert. Der Fokus kann nicht auf einer kritischen Auseinandersetzung mit der DDR liegen. Dafür wird diesem Part in der Inszenierung einfach zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Vielmehr geht es um Freundschaft, Liebe, Respekt.
Rostocks „Spur der Steine“ ist ein ansprechendes Stück. Aufwühlend, berührend und packend ist es leider nicht. Es ist schwer vorstellbar, wie jemand, der weder Roman noch Film kennt, den Erzählungen auf der Bühne folgen kann. Beim Freilegen der Basis, der Grundsubstanz der Geschichte muss den Autoren etwas verloren gegangen sein. Das Sich-Aufreiben der Figuren, ihre Verzweiflung und die Absurdität des Plansystems bleiben blass. Die eigentliche Dramatik der Geschichte bekommt die Inszenierung nicht zu fassen. Allein die unerfüllte Liebe des Hannes Balla zu Kathi Klee erhält eine Bühne. DDR-Geschichte bleibt lediglich angedeutet. Das wäre nicht weiter schlimm, denn die Konflikte der Figuren sind zeitlos, lassen sich ohne Weiteres in jedes System übertragen, in dem Individuen und gesellschaftliche Ordnung aneinandergeraten. Doch so scheint die Rostocker Inszenierung irgendwo festzuhängen zwischen DDR, heute und Zeitlosigkeit.