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JVA Waldeck Hinter Gittern zum Abitur

Von JORO | 06.05.2017, 05:00 Uhr

Studenten helfen Häftlingen beim Pauken

Sie sind Mörder, Vergewaltiger, Drogenhändler, sitzen im Gefängnis, weil sie Kinder missbraucht oder ihre Opfer zu Tode geprügelt haben. In der Justizvollzugsanstalt Waldeck in der Nähe von Rostock büßen die schweren Jungs für ihre Vergangenheit. „Auch wenn ich jetzt hier einsitze, habe ich mich noch nicht aufgegeben“, sagt Norman Hinrich*. „Mit Haftantritt habe ich mir geschworen nicht zu verdummen.“ Der 26-Jährige will sein Abitur machen und anschließend Marketing studieren. „Das sind hohe Ziele, aber mithilfe der Studenten kann ich das schaffen.“ Zweimal in der Woche bekommt er Unterricht von angehenden Lehrern. Ermöglicht wird dies durch ein gemeinsames Bildungsprojekt der JVA Waldeck und der Universität Rostock. Dieses wurde 2011 auf Wunsch der Inhaftierten ins Leben gerufen. „Die Möglichkeit einen Haupt- oder Realschulabschluss zu erwerben, gab es zuvor nur in der Gefängnisschule in Bützow“, erklärt Uwe Rehfeld, Leiter der sozialtherapeutischen Abteilung. „Die Inhaftierten hätten sich also für einen Abschluss via Fernuni entscheiden oder verlegt werden müssen.“ Beide Optionen schienen für die Verantwortlichen nicht ideal, sodass sie nach einer Alternative suchten. Diese bot die Uni Rostock: Seither besuchen Lehramtstudenten die JVA, um ehrenamtlich mit den Insassen zu pauken. „Das oberste Ziel ist der Schulabschluss, um die Entlassungsprognose zu verbessern. Gleichzeitig stärkt der Unterricht aber auch die sozialen Kompetenzen. Umgangsformen werden erlernt, das Selbstbewusstsein gestärkt. Auch die mündlichen und schriftlichen Ausdrucksformen verbessern sich“, sagt Rehfeld. Doch nicht jeder Häftling darf an dem Unterricht teilnehmen. Die Plätze sind rar. „Es gibt im Wesentlichen zwei Voraussetzungen: Die Insassen müssen konstant dabei bleiben und sie dürfen kein Sicherheitsrisiko für die Studenten darstellen“, erläutert Rehfeld.

Es ist Mittwoch. Auf dem Stundenplan stehen Deutsch und Geschichte. Während Studentin Anne ihre Schüler darum bittet, die Gründungssage von Romulus und Remus korrekt wiederzugeben, korrigiert Philipp die „Hausaufgaben“. „Hausaufgaben sind es ja nicht wirklich. Die Gefangenen sind hier schließlich nicht zu Hause.“ Philipp zückt den Rotstift, markiert Grammatik- und Rechtschreibfehler. Der Unterricht unterscheide sich stark von dem in einer Schule. „Jeder hat einen anderen Wissensstand. Zu Beginn war uns nicht klar, dass wir die Inhalte von Person zu Person anpassen müssen.“ Während des Unterrichts sitzen vier Studenten vier Häftlingen gegenüber. Die einen üben Versmarsche, die anderen schreiben eine Gedichtanalyse. „Wir sind alle angehende Lehrer, die Erfahrungen sammeln müssen. Wir probieren noch ganz viel aus“, sagt Ronja.

Die Häftlinge profitieren von dem persönlichen Kontakt. „Die Studenten bringen viel Geduld mit“, lobt Daniel Blöhmer*. Der 26-Jährige hat bereits einen Realschulabschluss und strebt das Abitur an. Auf dem Tisch vor ihm liegt das Lied „Leise weht der Wind“. Ronja hat es ausgesucht. „Ich kann da einfach nichts reininterpretieren“, mokiert sich Blöhmer. Es falle ihm schwer, sich zu konzentrieren. „Also wenn das im Abi drankommt, habe ich ein Problem.“ Nach eineinhalb Stunden ist der Unterricht vorbei. Während die Häftlinge zurück in ihre Wohngruppe gehen, werden die Studenten in die Freiheit geführt. Dass sie gerade mit Straftätern in einem Raum saßen, spielt für sie keine Rolle. „Die Gefangenen sehen in uns eine Chance. Das zählt“, sagt Ronja.

Die JVA Waldeck
 •  am 1. Juli 1996 in Dienst gestellt, Standort: Gemeinde Dummerstorf bei Rostock • Finanzierung des Baus durch private Investoren im Auftrag des Landes, Kosten: 85 Millionen D-Mark • 384 Haftplätze, davon 100  im offenen Vollzug und 50  in der sozialtherapeutischen Abteilung • 2002 gelang einem Insassen die bislang einzige Flucht – und zwar in einem Pappkarton. Der wegen Mordes verurteilte Serbe wurde Wochen später  in Schwarzenbek gefasst. • Nach dem Vollstreckungsplan des Landes werden  in Waldeck  Männer über 21 Jahren  mit einer Freiheitsstrafe von mehr als fünf  Jahren und lebenslanger Freiheitsstrafe untergrebacht. •  Erster Anstaltsleiter:  Rupert Koch. Derzeit leitet  Frank Grothjohann das Gefängnis. • Prominente Inhaftierte: Profiboxer Jürgen Brähmer, Schauspieler Karsten Speck, Radiomoderator  Marcus Japke, Schauspieler  Martin Semmelrogge

 

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*Namen von der Redaktion geändert