Geldautomatensprenger haben in Deutschland offenbar weiter leichtes Spiel: Rechnerisch fliegt täglich ein Automat in die Luft. Das zeigt eine Datenauswertung unserer Redaktion. Aber: Es rücken dabei zunehmend andere Bundesländer in den Fokus der Kriminellen, darunter auch Mecklenburg-Vorpommern.
Man kann eigentlich jeden beliebigen Tag des ersten Halbjahres 2023 wählen. Irgendwo in Deutschland ist mit ziemlicher Sicherheit ein Geldautomat in die Luft geflogen. Die Täter kommen in der Regel aus den Niederlanden, platzieren Sprengstoff und rasen nach dem großen Knall zurück Richtung Grenze. Mal mit, mal ohne zig Tausende Euro Beute. Zurück bleibt das Automatenwrack samt zerstörter Gebäude drum herum.
Geldautomaten deutschlandweit Ziel
Das Vorgehen der Kriminellen ist bekannt, ihre Herkunft in aller Regel auch. Und trotzdem gelingt es nach wie vor nicht, das Phänomen der Automatensprengungen einzudämmen. Das legen Zahlen der Polizeibehörden aus den Bundesländern vor, die unsere Redaktion zusammengetragen hat.
Demnach flogen im ersten Halbjahr 2023 deutschlandweit 239 Geldautomaten in die Luft. Das ist nur ein geringer Rückgang im Vergleich zum Vorjahreszeitraum: In den ersten sechs Monaten des Jahres 2022 waren 260 Automaten betroffen. Am Ende des Jahres stand die Rekordzahl von 496 versuchten oder vollendeten Sprengungen. Die Täter erbeuteten fast 30 Millionen Euro.
Geldautomatensprengungen: Nordrhein-Westfalen Hauptziel
Damals wie heute ist Nordrhein-Westfalen das Hauptziel. Nirgendwo sonst in Deutschland kam es zu so vielen Sprengungen im ersten Halbjahr: Das Landeskriminalamt in Düsseldorf verzeichnete 89 Taten, im Vorjahreszeitraum waren es noch 104. Mit Abstand folgt Niedersachsen, auch hier ein Rückgang: von 38 Sprengungen ging die Zahl auf 19 zurück.
Beide Bundesländer haben eine direkte Grenze mit den Niederlanden. Die Automatenknacker können bei Taten in Niedersachsen oder NRW also vergleichsweise schnell zurück in die Heimat fliehen.
In beiden Bundesländern haben die Behörden aber zumindest auf organisatorischer Ebene nachgerüstet: Die Staatsanwaltschaft Osnabrück beispielsweise bearbeitet mittlerweile schwerpunktmäßig sämtliche Automatensprengungen in Niedersachsen. Beim LKA NRW gibt es eine Sonderermittlungsgruppe für das Thema. Die Sicherheitsbehörden in beiden Ländern führen auch darauf die jeweiligen Rückgänge an Taten zurück.
Die Kriminellen nahmen im ersten Halbjahr offenbar deutlich weitere Wege in Kauf. Vom LKA in Hessen heißt es: „Derzeit begehen niederländische Tätergruppen die Taten vermehrt im süd-westlichen Bereich Deutschlands, so auch in Hessen.” In dem Bundesland stieg die Zahl der Sprengungen im Halbjahresvergleich von 20 auf 32. Im Nachbarland Rheinland-Pfalz kam es nach 25 Taten im ersten Halbjahr 2022 zu nunmehr 27. Im kleineren Maßstab verzeichnete auch das Saarland eine Zunahme: von einer Sprengung auf sieben.
Auch häufiger Ziel der Geldautomatenbanden: Mecklenburg-Vorpommern. Das Landeskriminalamt in Schwerin meldet auf Anfrage sechs Sprengungen im ersten Halbjahr, im Vorjahreszeitraum gab es keine einzige. Diese Tabelle zeigt, wann wo Automaten gesprengt wurden:
DATUM | ORT |
---|---|
5. Januar 2023 | Strasburg |
16. Januar 2023 | Zarrentin |
14. Februar 2023 | Leezen |
5. März 2023 | Lübz |
7. Mai 2023 | Grevesmühlen |
25. Juni 2023 | Sievershaben |
Die Sicherheitsbehörden des Bundeslandes versuchen die Banken für das Thema zu sensibilisieren. So hatte es am Jahresanfang ein Treffen gegeben, bei dem sogenannte Farbkartuschen vorgeführt werden: Diese lösen im Falle einer Sprengung aus und machen das Geld unbrauchbar. Die Methode gilt als effektiv im Kampf gegen Automatensprenger. Offenbar scheuen Banken aber die Nachrüst-Kosten.
Jochen Kopelke, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), kritisiert die Geldinstitute: Ihnen fehle es an „Tempo und Entschlossenheit” mehr präventiv gegen Automatensprenger zu unternehmen. „Noch immer ist es für die gut organisierten Profi-Automatensprenger viel zu leicht, an teils erhebliche Geldsummen zu gelangen”, so Kopelke.
Die Polizei sei den Täterbanden wegen „fehlender Technik und dünner Ausbildung” unterlegen. “Nach wie vor fühlen sich unsere Kolleginnen und Kollegen auf Einsätze im Zusammenhang mit Geldautomatensprengungen schlecht vorbereitet.” Dabei nehme die Rücksichtslosigkeit der Kriminellen zu, warnte Kopelke: Zunehmend komme Festsprengstoff zum Knacken der Automaten zum Einsatz. “Das bringt in unmittelbarerer Nähe wohnende Menschen und auch die Einsatzkräfte in größte Gefahr.”
Viele Automatensprenger festgenommen
Auch deswegen waren von politischer Seite zuletzt mehrfach Maßnahmen in Richtungen Banken angedroht worden, sollten die ihre Prävention nicht verbessern. Fakt ist: Während in Deutschland regelmäßig Geldautomaten in die Luft fliegen, kommt es zu vergleichsweise wenigen Taten in den Niederlanden.
Immerhin: Den deutschen Ermittlern können zunehmend Tatverdächtige festnehmen. Allein im ersten Halbjahr wurden in den Niederlanden oder Deutschland rund 60 Personen verhaftet, die im Zusammenhang mit Geldautomatensprengungen stehen sollen.