
Propaganda betreiben nur autoritäre Regime? Von wegen: Sie ist allgegenwärtig, denn sie funktioniert nach denselben Regeln wie normale Öffentlichkeitsarbeit. Mit kleinen Unterschieden ...
Im Jahre 1986 strömten Millionen Menschen in die Kinos: „Top Gun“ war der Kassenhit des Jahres. Möglich wurde das durch die Unterstützung des US-Verteidigungsministeriums, das für die Dreharbeiten einen Flugzeugträger samt Kampfjets zur Verfügung stellte – zu einem lächerlichen Mietpreis. Bezahlt machte sich diese Kooperation auf andere Weise: Die Zahl junger Amerikaner, die sich freiwillig als Kampfpiloten meldeten, explodierte in den Folgemonaten. Die Werbung in eigener Sache funktionierte prächtig.
Werbung? Oder nicht eher nackte Propaganda? Und wo liegt eigentlich der Unterschied? Für die US-amerikanische Werbe-Ikone Edward Bernays gab es da im Grunde keinen. Der 1995 gestorbene Erfinder der modernen PR – der „Public Relations“ – umriss Sinn und Zweck der Propaganda 1928 recht unverblümt: „Die bewusste und zielgerichtete Manipulation der Verhaltensweisen und Einstellungen der Massen ist ein wesentlicher Bestandteil demokratischer Gesellschaften.“ Und zwar so wesentlich, dass Bernays die Personen und Organisationen, die diese Manipulation betreiben, als „die eigentlichen Regierungen in unserem Land“ bezeichnet – eine bewusst überspitzte Aussage, bei der sich Verschwörungstheoretiker gerne bedienen. Gemeint waren aber, ganz unverschwörerisch, jene Personen, die für die Verbreitung von Gedanken von Bedeutung sind, entweder als Initiator oder auch als bloßer Verbreiter der gewünschten Botschaft – zum Beispiel eben die „Top Gun“-Macher. „Propaganda ist der Mechanismus, mit dem Ideen im großen Stil verkauft werden“, schrieb Bernays – gewissermaßen so wie eine neue Seifenmarke. Bernays theoretisierte keineswegs vor sich hin, als er das schrieb: Er beriet Tabakkonzerne ebenso wie US-Präsidenten.
„Propaganda“ zunächst kein negativer Begriff
Der Ruf des Begriffs „Propaganda“ war nach den hassgetriebenen Kampagnen während des Ersten Weltkriegs indes schon vor den Nationalsozialisten weitgehend im Eimer. Bernays, dessen Werke ungeachtet seiner jüdischen Herkunft auch in Joseph Goebbels’ Bücherschrank gestanden haben sollen, bevorzugte denn auch den Begriff der PR. Das grundlegende Konzept der Propaganda allerdings war auch nach dem Ende der NS-Herrschaft keineswegs diskreditiert; und schon der erste Kanzler der jungen Bundesrepublik dachte an eine neuerliche Institutionalisierung der Meinungsbeeinflussung: Bundeskanzler Konrad Adenauer wollte ein entsprechendes Ministerium aufbauen, das allerdings Informationsministerium heißen sollte. Dazu kam es nicht – aber um den Zweck zu erfüllen, braucht es auch keine eigene Regierungsbehörde, wie sich zeigen sollte. In den 1950er-Jahren sorgten verschiedene staatlich geförderte Vereine wie der Volksbund für Frieden und Freiheit, die Arbeitsgemeinschaft Demokratischer Kreise oder die Organisation Rettet die Freiheit dafür, die Bevölkerung auf den von der Regierung vorzelebrierten strammen Antikommunismus einzuschwören.
Die Funktionsweise von Propaganda beschrieb der US-Politologe und Zeitgenosse Bernays’, Harold D. Lasswell, als eine Art Reiz-Reaktionsschema, womit sich Massen von einer bestimmten Idee überzeugen ließen. Prominentes Beispiel: Eine angebliche kuwaitische Krankenschwester sagte 1990 vor dem US-Kongress aus, dass irakische Soldaten bei der Besetzung des Landes Säuglinge aus den Brutkästen gerissen und sterben gelassen hätten. Die tränenreiche Schilderung trug dazu bei, die US-Bevölkerung auf den Golfkrieg einzustimmen. Später wurde bekannt: Die Geschichte war eine Erfindung der PR-Firma Hill & Knowlton, die von der kuwaitischen Exilregierung bezahlt wurde; die „Krankenschwester“ war Tochter des kuwaitischen US-Botschafters. 13 Jahre später zimmerte sich die US-Regierung mit den erfundenen irakischen Massenvernichtungswaffen gleich selbst ihren Kriegsgrund zurecht. „Das war eine Lüge“, sagt der Leipziger Kommunikationswissenschaftler Günter Bentele – und damit eindeutig Propaganda. Für Bentele, der auch Vorsitzender des Deutschen Rats für Public Relations ist, verläuft die Grenze zwischen PR und Propaganda dort, wo die bewusste Lüge beginnt. „PR hat einen in Kodizes festgelegten Wahrhaftigkeitsanspruch, Propaganda vernachlässigt oder unterschlägt Wahrheiten bewusst“, beschreibt der emeritierte Professor die Trennlinie. Das Konzept der „Persuasion“, also das Ziel, das Handeln des Empfängers zu beeinflussen, liege indes „allen Formen öffentlicher Kommunikation zugrunde“.
Die Idee soll in die Köpfe der Bevölkerung
Eine möglichst positive Darstellung der eigenen Politik liegt mithin im Interesse von Regierungen, auch deutschen: Bund und Länder starten immer wieder Kampagnen, um ihre Politik zu bewerben, zuletzt etwa zur digitalen Agenda oder zur EEG-Reform. Das sind kaum als verwerflich zu bezeichnende Akte. Gleichwohl gilt auch hier: Die politische Idee soll in die Köpfe der Bevölkerung gepflanzt werden – und wenn die Idee bloß lautet: Wir, die Regierung, machen eine gute Arbeit. „Propaganda ist nicht prinzipiell gebunden an politische Systeme und punktuell auch in Demokratien vorhanden“, sagt Bentele, der als Beispiel die Kampagnen Donald Trumps anführt. Es gebe in Demokratien allerdings Kontrollinstanzen wie die unabhängige Presse – die aber an Vertrauen verlieren, seit die sozialen Netzwerke mit Fake News geflutet werden. „Dieses Problem wird uns noch Jahre beschäftigen.“
Slogans für den Krieg
Demokratische Werte mit PR-Kampagnen verkaufen – das hatte übrigens schon Bernays drauf. Dessen Slogan „Make the world safe for democracy“, mit dem er den US-Bürgern den Eintritt in den Ersten Weltkrieg verkaufte, begründete den bis heute verbreiteten Ruf der USA als Freiheitsbringer. Und er zeigt die Bedeutung von Sprache für das Ziel, der Gesellschaft bestimmte Ideen oder Strategien schmackhaft zu machen.
Nicht nur in den USA: In Deutschland wird bis heute hitzig debattiert, ob Bundeswehreinsätze als Kriegführung bezeichnet werden können, sollen, dürfen. Von der öffentlichen Darstellung hängt die Akzeptanz von Bundeswehreinsätzen in der Bevölkerung wesentlich ab. Im aktuellen Weißbuch der Bundesregierung zur Sicherheitspolitik ist mit Blick auf die Aufgaben der Bundeswehr aber von „militärischen Mitteln […] bis zur robusten Friedenserzwingung“ die Rede. „Da freut sich Herr Orwell“, kommentiert der Solinger Politikwissenschaftler Jörg Becker dieses Sprachkonstrukt – George Orwell erfand für seinen Roman „1984“ den Begriff des „Neusprechs“ als zentrales Propagandawerkzeug des herrschenden Systems. „Selbstverständlich ist dies Propaganda“, fügt Becker hinsichtlich der Weißbuch-Formulierung hinzu; und für Bentele liegt eine derartige Sprachregelung zumindest an der Grenzlinie zwischen PR und Propaganda.
Letztere ist heute vor allem dies: ein politischer Kampfbegriff. Von Propaganda wird etwa gesprochen, wenn Russland die Beeinflussung von Wahlentscheidungen in anderen Staaten unterstellt wird. Der Sender Russia Today gilt – nicht zu Unrecht – als Propagandainstrument des Kremls.
Propaganda-Instrumente des Bundesregierung
Aber auch die Bundesregierung hat durchaus subtile Methoden der Meinungsbeeinflussung im Ausland auf Lager. So gilt der in Kiew ansässige ukrainische Sender Hromadske TV, der sich zu Zeiten des Euromaidan-Aufstands gegen Präsident Viktor Janukowitsch engagierte, als eines der wenigen unabhängigen Medien im Land. Finanziert wird der von einer NGO getragene Sender unter anderem auch von der EU, der Nato und der Deutschen Botschaft. Letztere unterstützt die Arbeit der NGO mit rund 80 000 Euro im Jahr. Das Ziel ist laut Auswärtigem Amt der „Auf- und Ausbau von Informations-, Meinungs- und Medienvielfalt in der Ukraine“. Klingt nach einem hehren Anliegen – angesichts der Lage in der Ukraine aber auch unschwer als Mittel zum Zweck zu erkennen, prowestliche Strömungen im Land zu bestärken.
Gibt es also „gute“ und „schlechte“ Propaganda, die von der zugrunde liegenden Ethik abhängt? Für Becker hängt die Definition vor allem davon ab, dass der Begriff nicht nur über den Aspekt der Kommunikation verstanden wird. „Propaganda ist Sprache plus Macht“, sagt der Forscher – politische, wirtschaftliche oder gesellschaftliche Macht. Und über die verfügten nicht nur Regierungen, sondern auch „transnational agierende PR-Konzerne“. Es gebe aber auch eine einfachere Definition: „Propaganda ist immer das, was die anderen machen“, bringt es Becker auf den Punkt. „Man selbst betreibt Aufklärung.“

