Konzertreihe „Musik in alten Mauern“ macht Dorfkirchen zu Spielorten und wirbt für die Schönheit Mecklenburgs
„Dat is so bunt as de Kerk von Gägelow“, hieß es einst in Mecklenburg. An die Redewendung kann sich heute kaum noch jemand erinnern. Und auch die Kirche, deren Malereien einst so sprichwörtlich waren, steht immer häufiger leer – weniger Kirchgänger, weniger Gottesdienste, weniger Interesse. Zumindest letzteres soll sich ändern und zwar nicht nur für Gägelow. Ziel engagierter Einwohner aus dem Sternberger Seenland ist es, Gotteshäuser mit Musik zu füllen und auch die Neugier von Besuchern für diesen kulturellen Schatz zu fördern. Mit Dabel, Ruchow und Woserin gibt in in der Nachbarschaft des trutzigen Gägelower Feldsteinbaus weitere Dorfkirchen, die einen Besuch wert sind. Und so werden diese vier ihre Türen zu insgesamt neun Konzerten öffnen, die unter der Überschrift „Musik in alten Mauern“ locken.
Wenn die Reihe am 20. Mai in Gägelow startet, könnte dies auch der Auftakt zu einer wunderbaren Entdeckungsreise in die Geschichte Mecklenburgs werden. Was sich in den vier Kirchen nicht alles versteckt: mittelalterliche Malereien, die wie Comics wirken. Das älteste Orgelpositiv Mecklenburgs in lupenreinem Barock. Sterne und das Grab eines aufrührerischen Publizisten auf dem Kirchhof. Aber der Reihe nach.
Wer heute den Gägelower Kirchhof betritt, kann leicht ins Schwärmen geraten. Auf dem verwunschenen Gottesacker blüht im April und Mai ein weißer Teppich aus Nickenden Milchsternen, einer ursprünglich aus der Türkei stammenden Knollenpflanze, die schon im Mittelalter als Zierpflanze eingeführt wurde und später auf Guts- und Kirchhöfen verwilderte. Die Kirche, Ende des 13. Jahrhunderts erstmals erwähnt, beeindruckt mit einem Schiff, das vom Turm nur um weniges überragt wird. Doch der Eindruck der Vollkommenheit täuscht: „Das Dach ist marode und auch die Zugbalken des Tragwerks, das noch aus der Bauzeit stammt, müssen erneuert werden“, sagt Christian Lehsten. Er ist in Rothen, einem der einstigen Patronatsdörfer von Gägelow, zu Hause und gehört zu den Organisatoren der „Musik in alten Mauern“.
Die Voraussetzungen für eine Konzertreihe sind gut: In Gägelow steht eine Orgel, die Friedrich Friese III, der Dritte aus der Mecklenburger Orgelbaudynastie, 1854 aufstellte und die 2002 erneuert wurde. Der Griff ins Manual offenbart einen satten Klang – und wenn der am 20. Mai ab 19 Uhr zu barocken Liedern und Arien erklingt, kommt das Eintrittsgeld dem Erhalt der Kirche zugute. Zu den meisten der neun Konzerte ist der Eintritt sogar frei, um Spenden wird gebeten.
Wie zum Beispiel in Dabel, wo Fahrradkantor Martin Schulze am 21. Juli seinen Drahtesel abstellen wird. Die 1306 erstmals erwähnte Kirche ist kleiner als das Gägelower Gotteshaus. Der „Eichenort“, wie der Name slawischen Ursprungs besagt, war zu diesem Zeitpunkt ein bescheidenes Bauerndorf und weit von heutiger Größe entfernt. Eine enge Verbindung zur Gägelower Kirche gibt es dennoch: In Dabel haben das mittelalterliche Altarretabel und das Sakramentshaus aus Gägelow Platz gefunden. So schauen Maria und Petrus, Paulus und Johannes, die sich neben der Figur des gekreuzigten Jesus gruppieren, auch hunderte Jahre nach ihrer Entstehung auf eine Gemeinde. Mehrmals im Monat finden in Dabel Gottesdienste statt, das proper wirkende Kirchlein wurde 1990 saniert.
Auch der Bau der Ruchower Kirche datiert in die Zeit, in der in den Nachbarorten die Gotteshäuser entstanden. Das spitze, leicht schiefstehende Dach auf dem Holzturm, der zweijochige Feldsteinsaal, der von einem so genannten Domikalgewölbe – einer kuppelartigen Deckenkonstruktion – überspannt wird und die Malereien unterscheiden Ruchow von vielen anderen Dorfkirchen. Etwas ganz Besonderes ist Mecklenburgs ältestes Orgelpositiv, das so genannte Richborn-Positiv von 1684. Die kleine Orgel, nicht größer als ein Schrank, stammt aus der Werkstatt des Hamburger Orgelbauers Joachim Richborn, von dem weltweit nur vier Instrumente erhalten sind. Mehr als die Hälfte der Pfeifen ist original aus der Barockzeit. Dies und die hohe handwerkliche Qualität waren Gründe, dem Positiv den Status eines Denkmals von nationaler Bedeutung zuzuerkennen. Wie ein solches Denkmal klingt – davon können sich Konzertgäste zum Beispiel am 17. Juni um 17 Uhr überzeugen.
Keinesfalls sollten sie dabei einen Besuch auf dem Kirchhof vergessen. Hier befindet sich das Grab von Ludwig Reinhard, eines Lehrers und Gegners der Pressezensur, der vom Großherzog aus dem Schuldienst entlassen wurde, als Publizist arbeitete und 1848/49 mecklenburgischer Abgeordneter in der Frankfurter Nationalversammlung war. Reinhard verbrachte seine letzten Lebensjahre im wenige Kilometer entfernten Bolz unter dem Schutz des liberalen Gutsherrn Müller, in dessen Familiengrab er ruht.
Bleibt ein Abstecher nach Woserin, wo gerade die Restaurierung der Kirche abgeschlossen wurde. Schräg gegenüber hat Katrin Otolski ihre Keramikwerkstatt. Auch sie gehört zu den Organisatoren des Musikprojekts und ist der festen Überzeugung, dass die Kirche ins Dorf gehört. „Es kommen oft Touristen, die sich die Kirche anschauen wollen. Und jetzt, da sie saniert ist, darf sie nicht einfach abgeschlossen werden“, sagt sie. Zu entdecken gibt es in dem Feldsteinbau eine Menge – zum Beispiel Wandmalereien, die zum Teil noch aus der Bauzeit im 13. Jahrhundert stammen. Ansonsten folgte die Restaurierung der Ausstattung des 19. Jahrhunderts, während die Malereien als kleine Fenster in Mittelalter und Renaissance besonderen Reiz bieten. Mit Tango, Jazz und Urban Grooves lockt hier am Pfingstsonntag, dem 4. Juni, ein Konzert des Cathrin-Pfeifer-Trios. Beginn ist um 19 Uhr.

