Ziegendorf könnte den Publikumspreis des Deutschen Engagementpreises gewinnen – weil Einwohner ihren Ort nicht aufgegeben haben
An der A 24 gibt es ein Schild, das auf die Abfahrt nach Ziegendorf verweist – immerhin. Tatsächlich aber fahren die meisten Menschen, die dort die Autobahn verlassen, in die entgegengesetzte Richtung nach Parchim. In das 300-Seelen-Dorf zieht es nur wenige. „Wenn Sie durch Ziegendorf gehen, sehen Sie, wie viel hier zerfallen ist“, erzählt Marita Rossow wie zur Bestätigung.
Schon zu DDR-Zeiten hätte die Abwanderung begonnen: Wer nicht in der Landwirtschaft lernen wollte, musste sich anderswo umtun – und kam nur in den seltensten Fällen wieder zurück. Nach der Wende wurde es dann noch schlimmer: „Wer jung war, ging weg – zur Ausbildung, zum Studium oder um zu arbeiten.“
Mit Ziegendorf ging es immer weiter bergab. Die Einwohnerzahl sank binnen 20 Jahren von 850 auf 300. Weil nicht mehr genug Kinder im Ort lebten, musste die Schule geschlossen werden. Immer mehr Häuser verfielen, und auch die übrige Infrastruktur bröckelte im wahrsten Sinne des Wortes. Die Gemeinde war hoffnungslos überschuldet, hatte keinerlei finanziellen Spielraum mehr. „Irgendwann wollte hier nicht mal mehr jemand Bürgermeister werden“, erinnert sich Marita Rossow.
In dieser Situation tat sich eine Gruppe Frauen um Marita Rossow zusammen, die ihr Dorf nicht aufgeben wollten. Sie überzeugten die Kirchgemeinde, ihnen das schon seit Langem kaum mehr genutzte Pfarrhaus zu überlassen und machten in einem ersten Schritt den Pfarrgarten wieder urbar. Im Haus selbst richteten sie eine kleine Bibliothek und eine Nähstube ein. Und plötzlich gab es in der kleinen Gemeinde wieder das, was Dorfleben ausmacht: Gemeinschaft, gegenseitige Hilfe, Einstehen für- und achten aufeinander.
„Ich bin hier im Pfarrhaus zur Christenlehre gegangen – und es tat mir in der Seele weh, es verfallen zu sehen“, erklärt Rösli Nösken, warum sie als eine der Ersten mit dabei war. „Außerdem arbeite ich gerne im Garten…“ Monika Wendorff vermisste die Gemeinschaft im Dorf. Und Monika Möller, eine weitere „Landfrau der ersten Stunde“, erklärt ihr Engagement schlicht: „Ziegendorf ist alles für mich.“
2013 bewarben sich die Landfrauen mit ihrem Projekt beim bundesweiten „Netzwerk Nachbarschaft“ im Wettbewerb um die schönste Straße Deutschlands – und gewannen. Die 5000 Euro Preisgeld flossen in die weitere Instandsetzung des Pfarrhauses.
Und plötzlich interessierten sich auch andere für das kleine Dorf unweit der Landesgrenze zu Brandenburg. Die „Bild der Frau“ porträtierte Bürgermeisterin Petra Mannfeld, weil sie sich in schier aussichtsloser Situation bereit erklärt hatte, für das Ehrenamt zu kandidieren – und weil sie die Ziegendorfer dazu bewegen konnte, ihre Zukunft wieder selbst zu gestalten. 2015 wurde die Bürgermeisterin und engagierte Landfrau als „Goldene Bild der Frau“ geehrt – und überließ die 10 000 Euro Preisgeld ebenfalls dem Verein.
Der hatte sich mittlerweile als Ortsgruppe dem Verein Neues Landleben angeschlossen, der mehrere Projekte im Ruhner Land betreut. „ Wir haben hier im eigenen Saft geschmort und wären nicht mehr viel weiter vorangekommen“, begründet Marita Rossow das.
Die Entscheidung war offenkundig richtig. Nicht nur, weil inzwischen auch eine ganze Reihe Ziegendorfer Männer die einstigen Landfrauen unterstützt. Durch den Vorsitzenden des Vereins Neues Landleben, den Landschaftsarchitekten Tobias Schweitzer, bekamen die engagierten Dorfbewohner auch jede Menge Anregungen für weitere Projekte – und für deren Finanzierung. So werden sie demnächst eine Streuobstwiese anlegen, auch ein „Bienenhighway“ soll entstehen. Vor allem aber wird zurzeit das Pfarrhaus komplett modernisiert – mit Mitteln aus dem Förderprogramm „Regionalität und Mehrfunktionshäuser“. Bis Ostern soll alles fertig sein. Dann wird es eine „Poetenstube“ geben und ein Computerkabinett, in dem die jungen Ziegendorfer Nachhilfe bekommen können und die älteren, die zu Hause keinen Internetanschluss haben, können mit ihren weit entfernt wohnenden Kindern und Enkeln skypen oder Mails austauschen. Im Pfarrhaus-Schuppen soll mit dem „Zickenkrug“ ein Anlaufpunkt für gesellige Unternehmungen entstehen, im Garten wird es Kuchenbuffets und Grillabende geben. „Und wer ansonsten eine Idee zur Nutzung hat, der ist damit jederzeit willkommen“, betont die Bürgermeisterin.
Vielleicht wird es dafür demnächst sogar noch eine weitere Finanzspritze geben. Denn sowohl die Ortsgruppe des Vereins Neues Landleben als auch Petra Mannsfeld gehören zu den Nominierten für den Publikumspreis des deutschen Engagementpreises – ganz einfach, weil sie in der Vergangenheit schon einmal anderweitig für ihr Engagement ausgezeichnet worden sind. Jetzt muss es ihnen nur noch gelingen, bei einer Abstimmung im Internet die meisten Klicks zu bekommen. Aber wer ein ganzes Dorf wiedererweckt hat, für den sollte auch das keine Hürde sein…