Poetry Slammer wie Anne Kalkbrenner aus Rostock spielen mit der Sprache. Auf der Bühne liest sie ihre selbstgeschriebenen Texte vor und erntet damit oft tosenden Applaus.
Lässig lehnt Anne Kalkbrenner an einem Straßenpfeiler vor einem kleinen Rostocker Café. Sie trägt schwarz, abgesehen von der rosa Sonnenbrille auf ihrer Nase. Ihr Lächeln ist freundlich. Die 24-Jährige kommt gerade von einer Vorlesung. Sie will Lehrerin werden, studiert Deutsch und Philosophie. Dabei kennen die meisten ihr Gesicht gar nicht aus dem Hörsaal, sondern von der Bühne. Anne Kalkbrenner ist Poetry Slammerin. Und damit ziemlich erfolgreich: 2016 wurde sie mit ihrem Text „Erinner Dich“ Mecklenburg-Vorpommerns Landesmeisterin. Der Text ist eine Hommage an ihre Freundin Lisa. Sie war magersüchtig, verstarb 2015. „Viele sind unsicher mit sich selbst und haben das Gefühl, gesellschaftlich definierten Normen nicht gerecht zu werden“, kritisiert Anne. „Ich gebe den Anstoß, sich an die eigene Kindheit zu erinnern, in der es nur um Gefühle ging und es egal war, wie wir aussahen. Wenn wir uns mehr auf uns selbst konzentrieren und aufhören, uns mit anderen zu vergleichen, können wir glücklicher werden“, da ist sich Anne sicher. In ihren Texten verarbeitet die gebürtige Berlinerin Alltagsaufnahmen – Momente, die sie wütend oder traurig machen, die sie verwirrt zurücklassen oder Endorphine ausschütten. „Die Verarbeitung auf der Bühne kann sehr heilsam sein.Ein Gedanke wächst, bis er zum Text wird. Welche Aspekte sind so spannend, dass ich sie besprechen möchte und wie bringe ich das in eine Form für das Publikum?“
2012 gab Anne Kalkbrenner ihr Slam-Debüt, damals noch in ihrer Heimat. In „Pärchenschweine“ schildert sie ihre Beobachtungen , wie Menschen sich in Beziehungen verändern. „Eigentlich wollte ich nur selbst ein Pärchenschwein sein“, gesteht sie. Drei Jahre hätte es gedauert, bis sie sich auf der Bühne als Poetin wohlfühlte. „Ich musste mir erst klar werden, was ich überhaupt will. Heute weiß ich, dass ich das Publikum zum Denken anregen möchte. Ich säe einen Gedanken und jeder soll selbst überlegen, welche Pflanze daraus wächst“, erklärt sie.
Poetry Slam: Was erlaubt ist...
Poetry Slam heißt so viel wie Dichterwettstreit. Die Teilnehmer werden Slammer genannt. Sie tragen Texte vor. Dabei müssen sie einige Regeln beachten: Nur eigene Texte: Die Slammer dürfen nur Texte vortragen, die sie selbst verfasst haben. Für den Inhalt der Texte gibt es aber keine Tabus. Für die Vortragsweise allerdings schon: Die Beiträge dürfen nicht überwiegend vorgesungen werden (maximal 49 Prozent).Das Zeitlimit: Jeder Slammer hat auf der Bühne gleichviel Zeit. In Deutschland liegt die Zeitbegrenzung oft zwischen fünf und zehn Minuten. Bei den diesjährigen deutschen Meisterschaften vom 24. bis 28. Oktober in Hannover haben die Teilnehmer des Einzelwettbewerbs 5:30 Minuten Zeit, bei 5:15 Minuten ertönt ein Signalton. Danach muss der Slammer die Bühne verlassen. Keine Verkleidung: Außer den Textblättern darf nichts mit auf die Bühne gebracht werden. Die Slammer dürfen sich nicht verkleiden oder Requisiten mitbringen. Die goldene Regel: Sie gilt für das Publikum: Respektiere den Dichter! Niemand im Publikum darf sich über die Slammer lustig machen oder sie ausbuhen. Die Zuschauer stimmen übrigens in der Regel darüber ab, wer am Ende gewinnt, zum Beispiel durch Applaus.
2015 gewann die Studentin zum ersten Mal einen Wettbewerb. Beim ersten MV-Klima-Slam beleuchtete sie den Umgang der Menschen mit der Natur. Den Text dafür hat sie an einem Tag geschrieben. „Kürzlich erhielt ich eine Einladung zum Mathe-Slam. Es ist schade, dass alles nur noch Slam heißt, weil Veranstalter wissen, dass das Format funktioniert“, sagt die 24-Jährige. Für sie habe ein Slam künstlerischen Charakter: „Das ist Poesie, die von der Feinheit der Sprache lebt. Ob das mit Mathe geht?“, fragt sie.
Derzeit arbeite Anne an dem Text „Freundschaft Plus“, in dem sie auch Passagen aus „Pärchenschweine“ neu belebt. „Ich habe mich weiterentwickelt, kann mich nur noch mit Fragmenten aus dem Text von damals identifizieren.“ Früher hätte Anne auf der Bühne sehr viel mehr aus ihrem Privatleben erzählt. „Ich habe irgendwann gemerkt, dass ich das nicht möchte. Was soll denn das Publikum mit meinen persönlichen Erfahrungen anfangen?“.
Am Wochenende trat Anne in Greifswald bei der 5. Poetry Slam Landesmeisterschaft an. Gewonnen hat Diego Hagen. Er fährt damit im Oktober zu den Nationals. Die 24-Jährige selbst wurde 4. Bereits im letzten Jahr qualifizierte sich Karsten Lampe bei der Meisterschaft in Berlin/Brandenburg für die Teilnahme am Bundeswettbewerb.