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Mecklenburgisches Staatstheater Der rätselhafte Komponist

Von Manfred Zelt | 09.10.2016, 21:00 Uhr

Ballettpremiere mit Jutta Ebnothers Inszenierung von „Ravel“ am Mecklenburgischen Staatstheater

Der Komponist verlässt das „Denkmal Ravel“. Er bewegt sich suchend, trifft sein Alter Ego, die Skulptur wird lebendig. Mit den beiden Protagonisten und um sie herum beginnen die Figuren, zu deuten als die verschiedenen Gesichter Ravels, ihre phantasierten Formationen, inspiriert von seinem Streichquartett F-Dur. Das hat Kapellmeister Martin Schelhaas in eigener Fassung für Streichorchester mit Klangfülle aufgeladen und musiziert es so intensiv wie transparent mit der Staatskapelle. Mit der „Ravel“-Premiere stellt sich Jutta Ebnother als Choreographin am Mecklenburgischen Staatstheater vor.

Natürlich kann Tanz kein realistisches Porträt zeichnen. Doch er kann Stimmungen und psychischen Prägungen nachspüren. Maurice Ravel war ein unruhiger, sich oft wandelnder Geist, mal Salon-Dandy, mal ein Verschlossener, vor allem aber ein Fanatiker raffiniert konstruierter Musik. Das bietet viel Anregung, seinen spannenden Klang mit gespannten, auch überspannten Bewegungen zu umspielen. Im weiten okkulten Raum von Udo Herbster, den Sven Müller mit Licht dramatisiert. Die Choreographin lässt Gruppen, die auch auf Tonlagen reagieren, und solistische, erregt formulierte Chiffren ineinanderfließen. In heftigen wie sanften Windungen und detaillierten Verwindungen der Körper, die Emotionen sichtbar machen. In fiebrigen Reflexen auf nervösen Klang. In erzählenden Momenten, wenn Ravel seine anderen Gesichter in einer Gruppe wegdrückt. Und wie in dieser Musik Tradition und Anbruch der Moderne zusammengehen, flicht Ebnother in ihre Moderne traditionelle Elemente der Klassik ein. Sie imaginiert den Komponisten als rätselhaft, zerrissen wie Menschenbilder in der zeitgenössischen Malerei. Das trifft die Intentionen Ravels, der dachte, dass „die Unregelmäßigkeit, das heißt das Unerwartete, Überraschende, Frappierende, einen wesentlichen und charakteristischen Teil der Schönheit ausmacht“. Das pulsiert im Ensemble. Expressiv modulieren Giuseppe Salomone und Dan Datcu die gespaltene Titelfigur als extremes Künstler-Sein. Als Beispiel für die gestalterische Präsenz des Ensembles steht das Quartett der beiden mit Eliza Kalcheva und Magdalena Pawelec. Da bewegen sich Innigkeit und Melancholie.

Temperament aber sprudelt bei Ravels „Tzigane“, dem „Virtuosenstück im Stile einer ungarischen Rhapsodie“. Mit Bravour rassig spielt der Erste Konzertmeister Volker Reinhold die Solovioline auf der Bühne, sozusagen als anfeuernder Primas. Nach einem poetischen Duett von Kalcheva und Ennio Zappalá explodiert das Ensemble in folkloristischer Feierlust.

Danach schnüren die Tänzer rote Sportschuhe, singen sich schräg auf den „Boléro“ ein, und umso präziser exekutieren sie dann seinen Rhythmus mit Vollspeed. Getrieben von der musikantischen Energie, mit der die Staatskapelle unter Schelhaas den Klassik-Schlager anschwellen lässt, kämpft, hüpft, springt, dreht Pop-Gymnastik mit Zappalá als Animateur.

Fröhliche Ironie auf den Fitness-Wahn? Zum „Boléro“ meinte Ravel, dass er „überhaupt keine Musik enthält“. Macht nichts, er enthält Tanzpulver, das wird hier gezündet. Das Publikum bejubelt das Feuerwerk.

 

Die nächsten Vorstellungen:

15. und 27. 10., 19.30 Uhr, Karten: 0385-5300123; kasse@mecklenburgisches-staatstheater.de