Verfahrensbeteiligte geben sich gegenseitig die Schuld an der geplatzten Hauptverhandlung gegen den früheren SS-Sanitäter
Bei den Beteiligten des Neubrandenburger Auschwitz-Prozesses liegen die Nerven blank: Einen Tag, nachdem die Hauptverhandlung gegen den früheren SS-Sanitäter in dem Konzentrationslager, Hubert Z., geplatzt ist, weisen sich die Verfahrensbeteiligten in heftigem Ton gegenseitig die Schuld zu. Der Verteidiger des 96 Jahre alten Angeklagten, Peter-Michael Diestel, unterstellte der Staatsanwaltschaft Schwerin und den Nebenklägern gestern, mit ihren Befangenheitsanträgen gegen insgesamt drei Richter den Prozess verschleppen zu wollen, „damit ein Urteil, komme was wolle, nicht gesprochen wird“. Diestel nannte die Anträge hilflos und destruktiv „in einem der letzten Prozesse, wenn nicht gar dem letzten Prozess, um das Geschehen in Auschwitz“.
Der Vertreter der Nebenklage, Thomas Walther, wiederum warf dem Vorsitzenden Richter Klaus Kabisch vor, die Beweisaufnahme zum Vorwurf der Mordbeteiligung des Angeklagten in Auschwitz gar nicht beginnen zu wollen. „Seit Beginn des Jahres sollte lediglich die Verhandlungsunfähigkeit herbeigeredet und keinesfalls nach strengen Beweisregeln überprüft werden“, erklärte Walther. Verfahrensrechte der Nebenkläger seien bis hin zur Verweigerung des Anwaltsgesprächs mit den Mandanten beschnitten und missachtet worden.
Auch das Internationale Auschwitz-Komitee warf dem Landgericht Neubrandenburg vor, das vorläufige Scheitern des Prozesses praktisch selbst betrieben zu haben. „Von Beginn des Prozesses an war allen Beobachtern mehr als deutlich, dass der Vorsitzende Richter einem Prozess in Sachen Auschwitz völlig ablehnend gegenüberstand“, erklärte der Exekutiv-Vizepräsident des Auschwitz-Komitees, Christoph Heubner. Er warf Kabisch eine „arrogante und maliziöse Verhandlungsführung“ vor, die Auschwitz-Überlebende aus dem Bild des Prozesses und der Welt dieses Gerichtes ausgeschlossen habe. Auschwitz-Überlebende in vielen Ländern hätten die Arbeit des Landgerichtes mit Fassungslosigkeit verfolgt. Es habe „ein jämmerliches Kapitel der deutschen Rechtsgeschichte geschrieben“.
Ein Sprecher des Landgerichts Neubrandenburg hatte am Vortag Unverständnis über den Befangenheitsantrag der Staatsanwaltschaft Schwerin geäußert. Eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft konterte: „Wenn die Staatsanwaltschaft den Eindruck gewinnt, dass das Gericht mit ihren und den Anträgen der Nebenkläger nicht objektiv und neutral umgeht, ist es ihre Pflicht, von den ihr zustehenden prozessualen Rechten Gebrauch zu machen.“ Eigentlich sollte der Prozess am Montag weitergehen. Jetzt müsste die Verhandlung neu starten.
Iris Leithold