
Diese dramatische Entwicklung werde sich fortsetzen, warnt Brandenburgs Innenminister Schröter
Eine wachsende Zahl gewaltbereiter rechter und linker Extremisten bereitet Brandenburgs Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) zunehmend Sorgen. Angesichts zahlreicher Angriffe auf Flüchtlinge und ihre Unterkünfte sowie gewalttätiger Ausschreitungen bei Anti-Asyl-Kundgebungen in den ersten Monaten dieses Jahres seien auch in diesem Jahr weiter steigende Zahlen bei extremistischer Gewalt zu erwarten, sagte Schröter gestern bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts 2015.
Rechtsextremismus:Der Verfassungsschutz beobachtete 1230 Personen, die der rechtsextremistischen Szene zugeordnet werden, darunter 470 gewaltbereite Neonazis (Vorjahr: 420). Die Zahl rechtsextremistischer Gewalttaten stieg um 56 auf 129 im gesamten Jahr. Dazu zählt auch der Brandanschlag auf eine geplante Asylbewerberunterkunft in Nauen (Havelland), für den sich demnächst sechs Neonazis unter der Führung des NPD-Politikers Maik Schneider vor Gericht verantworten sollen. „Der Bericht belegt eine beängstigende Entwicklung rassistischer und neonazistischer Gewalttaten“, sagte die Landtagsabgeordnete Andrea Johlige (Linke). „Vielerorts herrscht ein Klima der Angst.“
Anti-Asyl-KeundgebungnDie meisten Demonstrationen wurden nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes von der rechtsextremen NPD oder anderen Neonazis gesteuert. Dabei hielten sich diese Organisationen meist im Hintergrund, um die Bürger zu täuschen, wie Schröter sagte. „Das ist regelrechter Tarnkappen-Extremismus“, meinte der Minister. „Teilweise ist es den Rechtsextremisten gelungen, in bürgerliche Proteststrukturen einzudringen.“
NPDDie Zahl der Mitglieder der rechtsextremen NPD blieb gegenüber den Vorjahren mit 290 gleich. Allerdings wurde die Partei wieder aktiver. Der Verfassungsschutz untersuchte mehr als 80 einschlägige Facebook-Kampagnen. Etwa 65 wurden dem Rechtsextremismus zugerechnet, davon zahlreiche der NPD. „Die Partei will sich im Zuge der Flüchtlingskrise als revolutionäre Volksbewegung etablieren“, sagte Verfassungsschutzchef Carlo Weber. „Der Ton, mit dem sie dieses Ziel verfolgt, wird zunehmend militanter.“
LinksextremismusIm Gegenzug zu den rechtsextremen Aktivitäten stieg auch die Zahl der Gewalttaten von links: Auf 48 Straftaten gegenüber 30 im Vorjahr. Auch die Zahl der gewaltbereiten Autonomen wuchs um Zehn auf 200. Insgesamt werden dem linksextremistischen Spektrum 490 Personen zugerechnet. „Beim sogenannten antifaschistischen Widerstand werden auch gleich Polizisten und andere Staatsdiener mit angegriffen“, stellte Schröter fest. „Aus dem Bestreben sowohl der Rechts- als auch der Linksextremisten zur Abschaffung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ergibt sich eine komplexe Gefährdungslage – zumal auch noch der islamische Extremismus wächst.“
IslamismusDer Verfassungsschutz beobachtete im vergangenen Jahr 70 Personen (Vorjahr: 40) aus dem Bereich des islamistischen Extremismus. Mehr als zehn gelten als Gefährder und rund 50 als gewaltbereit. Dies seien aber nur die Personen, die dem Verfassungsschutz bekannt seien, betonte Schröder. Viel gefährlicher sei das Dunkelfeld. „Es ist noch nicht absehbar, wie viele Extremisten und Terroristen den Flüchtlingsstrom genutzt haben, um nach Deutschland zu gelangen“, sagte der Minister. „Dass einige diesen Strom genutzt haben, ist aber klar.“
BilanzEs herrsche weiterhin eine hohe abstrakte Gefahr von extremistischen Anschlägen, sagte Schröter. „Wie die vergangenen Wochen in Frankreich und in Deutschland gezeigt haben, kann die abstrakte Gefahr auch sehr schnell sehr konkret werden“, betonte der Minister. „Wir brauchen personell gut aufgestellte Sicherheitsbehörden, und dazu gehört auch der Verfassungsschutz.“
In diesem Zusammenhang kritisierte Schröter Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die den Einsatz von mehr Polizisten gefordert hatte. „Die Kanzlerin weiß sehr wohl, dass die Länder dies bezahlen müssten“, sagte Schröter. Die Bundesregierung solle daher ehrlich sein „und endlich mindestens die Hälfte der Flüchtlingskosten übernehmen, wovon sie noch weit entfernt ist.“
Was sagt die Opposition?Die CDU forderte erneut, das Personal bei den Sicherheitsbehörden weiter aufzustocken. „Richtig ist, dass SPD und Linke Polizei und auch den Verfassungsschutz kaputtgespart haben“, sagte der CDU-Landtagsabgeordnete Sven Petke. „Der Verfassungsschutz Brandenburg ist mit Blick auf die Bedrohungslage islamistischer Terror nur bedingt handlungsfähig.“
Ähnlich äußerte sich AfD-Fraktionschef Alexander Gauland. Insbesondere der Anstieg beim islamischen Extremismus sei besorgniserregend. Wegen des jahrelangen Personalabbaus fehlten dem Verfassungsschutz die Kräfte, dem wirksam zu begegnen. „Schröters Eingeständnis, dass noch nicht absehbar sei, wie viele Extremisten und Terroristen den Flüchtlingsstrom genutzt haben, um nach Deutschland zu gelangen, ist eine Bankrotterklärung“, sagte Gauland.