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Der Landesbischof im Interview „Martin Luther war ein Grübler“

Von Benjamin Lassiwe | 29.10.2016, 05:00 Uhr

Markus Dröge über die Reformation – was sie für die heutige Gesellschaft bedeutet und über das anstehende Jubiläum.

Am Montag beginnt das Reformationsjubiläum: Mit zahlreichen Veranstaltungen erinnern Staat und Kirche an den 500. Jahrestag des Thesenanschlags von Martin Luther. Benjamin Lassiwe sprach dazu mit dem Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Markus Dröge.

Bischof Dröge, was ist das besondere an Martin Luther?
Markus Dröge: Martin Luther war ein Grübler. Er hat nach seinem Seelenheil gesucht, wollte wissen, wie er in den Himmel kommt. Und dann hat er in der Bibel, im Römerbrief, diese Entdeckung gemacht: Ich werde gerecht vor Gott, also angenommen von Gott, nicht durch meine eigene Leistung. Sondern dadurch, dass Gott mich anerkennt. Und da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen: Ich bin akzeptiert, und kann deswegen mein Leben frei gestalten. Für mich selbst und in Verantwortung für andere.

Was bedeutet Luther für den Menschen von heute?
Mir wird immer wichtiger, dass die Reformation ein Ereignis für den Einzelnen war, das dem einzelnen Menschen Zuversicht geschenkt hat. Und Zuversicht ist auch heute wichtig. Wir leben ja in einer Zeit, in der Menschen mit Sorge in die Zukunft schauen. Wir leben in einer Zeit, in der Menschen eher Misstrauen entwickeln, und in der wir eine gesellschaftliche Verhärtung erleben. Dagegen sagt die Botschaft der Reformation ganz klar: Der Mensch kann seine Sorgen überwinden, weil er sich innerlich befreit weiß. Er kann ein tiefes Grundvertrauen empfinden, weil er angenommen ist von Gott.

Was hat das mit unserer Gegenwart zu tun?
Ich glaube, dass das eine zentrale Botschaft heute ist: Wenn Sie sehen, wie in unserer Gesellschaft die rechtspopulistische Bewegung aufkommt, die ja von der Sorge profitiert, wir würden mit dem, was uns wichtig ist, in unserer eigenen Welt nicht mehr vorkommen – da erleben wir eine solche Verhärtung. Die christliche Botschaft sagt: Du, Mensch, brauchst Dich nicht zu verhärten. Du kannst zuversichtlich durchs Leben gehen. Dazu kommt seine Gewissensfreiheit: Was ich erkannt habe in meinem Gewissen, danach lebe ich – immer bereit, mich in Frage stellen zu lassen, aber nur aufgrund von Vernunftgründen, oder biblisch begründet. Das gibt eine starke Persönlichkeit, innerlich gefestigt, aber auch bereit, den Diskurs zu suchen.

Man hat manchmal den Eindruck, dass die evangelische Kirche nicht glücklich über Luther ist. Sein Antisemitismus, sein Jähzorn, sein Kampf gegen die aufständischen Bauern wird immer wieder kritisiert...
Wir sind natürlich als evangelische Christen kritische Menschen. Wir verehren Martin Luther nicht. Wir übernehmen für uns selbst manche Erkenntnisse, die er gehabt hat. Dass er darüber hinaus auch ganz furchtbare Dinge vertreten hat, sehen wir. Seinen Antisemitismus zum Beispiel kritisieren wir scharf, davon distanzieren wir uns als Kirche.

Nächstes Jahr findet in Berlin und Brandenburg der Kirchentag statt. Was erwarten Sie vom Kirchentag?
Ich erwarte vom Kirchentag, dass er uns die Möglichkeit gibt, in Berlin, in Potsdam, in die ganze Region hinein darzustellen, was christlicher Glaube ist, und was er heute leisten kann. Ich habe oft den Eindruck, dass Menschen nicht mehr richtig wahrnehmen, wie stark unsere Gesellschaft auf christlichen Werten basiert, und welcher Schatz die Botschaft von Freiheit und Verantwortung ist, die wir als Kirchen vertreten. Dass wir also mal deutlich machen können, wofür wir stehen.

Im Reformationsjahr findet eine besondere Veranstaltung auch in Kerkwitz, in der Lausitz, statt.
Ja, der Truck des europäischen Stationenwegs, der 68 Reformationsorte in Europa verbindet, wird in Kerkwitz einen Stopp einlegen – obwohl das ja kein Ort mit einer besonderen Reformationsgeschichte ist. Aber wir wollen damit zeigen, dass sich evangelischer Glaube in die aktuellen gesellschaftlichen Themen und Herausforderungen hinein begibt. Und Kerkwitz ist das Symbol für die Problematik der Braunkohle, der wir uns als Kirche besonders widmen. Wir wollen ein Zentrum für Dialog und Wandel in der Lausitz einrichten.

Was erhoffen Sie sich für das Verhältnis zwischen den Kirchen vom Reformationsjahr?
Zusammen mit den Katholiken feiern wir 2017 ein Christusfest. Luther ging es ja auch um die Rückbesinnung auf den Glauben, auf Christus. Und das teilen wir mit den Katholiken. Deswegen werden wir von Anfang an ökumenische Akzente setzen – etwa wenn zur Eröffnung des Reformationsjahrs die Martin-Luther-Medaille der Evangelischen Kirche in Deutschland an den katholischen Kardinal Karl Lehmann verliehen wird. Wir haben die Pilgerreise der Bischöfe ins Heilige Land gehabt, wo deutlich wurde, wie viel Gemeinschaft es schon gibt. Ich hoffe auch darauf, dass wir zum Beispiel durch den Besuch des Papstes am Montag beim Lutherischen Weltbund in Lund kleine Impulse bekommen, wie wir auch in theologischen Fragen, etwa beim gemeinsamen Abendmahl, weiter arbeiten können.

Danke für das Gespräch