Das Deutsche Jugendinstitut hat erstmals seit Inkrafttreten des Rechtsanspruchs die Betreuungssituation von Kleinkindern analysiert
Es ist ein Glaubenskrieg zwischen Parteien, zwischen Ost und West, zwischen jüngeren und älteren Eltern: Ist es besser für Kinder, wenn sie in den ersten Lebensjahren ausschließlich zu Hause betreut werden? Oder können bereits den Jüngsten in der Kita Kompetenzen vermittelt werden, die ihnen das Elternhaus nicht mitgeben kann? Sollten Mütter ihre Selbstverwirklichung hinter das Wohl ihrer Kinder zurückstellen? Oder dürfen sie schon wenige Monate nach der Geburt ihres Kindes wieder arbeiten gehen?
Die Bundesregierung hat den Disput über diese Fragen noch weiter angekurbelt, als sie in den zurückliegenden Jahren Milliarden in den Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen investierte und ab August 2013 einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz im zweiten und dritten Lebensjahr einführte.
Das Deutsche Jugendinstitut (DJI) in München hat jetzt erstmals untersucht, welchen Einfluss der Rechtsanspruch auf die Entwicklung des Betreuungsangebots in den einzelnen Bundesländern hat. Die Datensammlung wird am Dienstag veröffentlicht, unserer Redaktion liegt sie bereits vor. Vor allem Niedersachsen holt demnach stark auf. Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern halten ihr hohes Angebot, Thüringen und Rheinland-Pfalz bauen noch weiter aus. Nur enig tut sich dagegen in Nordrhein-Westfalen und Bayern.
Nach wie vor ist in Ostdeutschland der Anteil der Kinder, die außer Haus betreut werden, sehr viel größer. Während hier fast die Hälfte der unter Dreijährigen Angebote der Tagesbetreuung in Anspruch nimmt, ist es im Westen nur ein Viertel. Im Osten werden drei Viertel der Krippenkinder ganztags betreut, im Westen dagegen mit 40 Prozent nicht einmal die Hälfte.
Dafür ist es in den alten Bundesländern deutlich besser um Personalressourceneinsatzschlüssel bestellt. Unter dem Bundesdurchschnitt von 1:4,3 – eine Fachkraft betreut 4,3 Kinder – lagen im Jahr 2013 laut DJI 331 von 365 westdeutschen Jugendamtsbezirken, aber nur einer von 76 Jugendamtsbezirken im Osten. Verglichen mit Zahlen aus dem Jahr 2012 stagnierte die Personalausstattung in 71,1 Prozent aller ostdeutschen Kreise, in 13,2 Prozent hatte sie sich sogar verschlechtert.
Im Land Brandenburg erreicht momentan nach Angaben des DJI kein Landkreis die Relation 1:4,3. Die besten Werte erzielt der Landkreis Elbe-Elster, in dem rein rechnerisch eine Erzieherin bzw. ein Erzieher für 5,7 Kinder zuständig ist. Am schlechtesten steht die Stadt Brandenburg an der Havel mit einem Verhältnis von 1:7,2 da.
Handlungsbedarf ergibt sich auch aus der Altersstruktur der Kita-Erzieherinnen und -Erzieher: Während in Potsdam nur 29,7 Prozent von ihnen bereits das 50. Lebensjahr überschritten haben, sind es in der Uckermark 42,7 Prozent und in der Prignitz und in der Stadt Frankfurt (Oder) sogar 44,5 Prozent.
Spannend sind die Untersuchungsergebnisse auch in Bezug auf andere Unterschiede innerhalb der Bundesländer. In Brandenburg beispielsweise nutzen in Märkisch Oderland 56,9 Prozent der Eltern von unter Dreijährigen Angebote der Kindertagesbetreuung. In der Prignitz dagegen sind es nur 49,6 Prozent, in der Uckermark sogar nur 49,0 Prozent. Noch deutlicher sind die Unterschiede beim Betreuungsumfang: Während in der Stadt Cottbus 83,1 Prozent der Kleinkinder in Tageseinrichtungen ganztags betreut werden, sind es in den Landkreisen Teltow-Fläming und Potsdam-Mittelmark nur 76,2 Prozent, in der Prignitz nur 66,7 Prozent und in der Uckermark sogar nur 61,7 Prozent.
Während die Wissenschaftler bei derartigen Schwankungen für die alten Bundesländer eine ganze Liste von Einflussfaktoren aufspürten, hatten hier im Osten nur wenige dieser Faktoren einen signifikanten Einfluss auf die Inanspruchnahme von Kinderbetreuung: So stieg die Quote dort, wo mehr Frauen erwerbstätig waren. Zudem werden hier deutlich mehr Kleinkinder im Umfeld von Städten fremdbetreut als das in ländlichen Gemeinden der Fall ist. Überraschend: Dort, wo überdurchschnittlich viele Menschen der evangelischen Kirche angehören, gehen im Osten weniger Kinder in eine Krippe oder zur Tagesmutter. Einleuchtend ist dagegen ist eine weitere Determinante: Mit dem Anteil der Linken-Wähler steigt die Inanspruchnahme von Kinderbetreuungsangeboten. Weniger ausgeprägt ist der Einfluss des Faktors Fertilität, also Fruchtbarkeit. Auch in Ostdeutschland zeigt sich aber mittlerweile: Je mehr Geschwister ein Kind hat, umso wahrscheinlicher ist, dass es nicht in einer Einrichtung , sondern zu Hause betreut wird.