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Der Einheitskelch Ein Pokal, den keiner will

Von Redaktion svz.de | 06.12.2015, 16:18 Uhr

1987 schmiedete Wilfried Schwuchow für Erich Honecker einen Einheitskelch, mit dem er in Ungnade fiel

Die deutsche Einheit funkelt golden. Sie ist 5,3 Kilogramm schwer. Ein Pokal aus reinem Silber, mit Blattgold überzogen, der vom naiven Jubiläumspräsent über Nacht zum Symbol deutscher Geschichte geworden ist. Aber niemand will ihn haben. Seit 25 Jahren schlummert das Requisit der Wiedervereinigung fast vergessen in einem gemieteten Banktresor in Angermünde (Uckermark).

Als Wilfried Schwuchow 1987 den Pokal als Auftragswerk für Erich Honecker zur 750-Jahrfeier Berlins schmiedete, war von Wende und Einheit noch keine Rede. Der Angermünder Schmied war damals dank seiner Handwerkskunst und Ideen längst in die Reihen der anerkannten Restauratoren und Kunstgestalter der DDR aufgerückt und arbeitete als „Spezialhandwerker“ für die Denkmalpflege.

Jahrelang war Schwuchow zuvor als hilfsbereiter, fröhlich plaudernder Klempner durch Angermünder Haushalte gezogen, hatte tropfende Wasserhähne repariert – und ganz nebenbei seine Leidenschaft für die alte Handschmiedekunst entdeckt. Er kletterte auf Kirchtürme, rettete kaputte Turmuhren, restaurierte Wetterfahnen und Krönungen, von denen der Rost nicht viel mehr übrig gelassen hatte als krümelnde Fetzen.

In seinem Eifer und in seinen Ideen ist der Mann mit den goldenen Händen nicht zu bremsen. Schwuchow trägt sein Herz auf der Zunge. „Ich würde am liebsten die ganze Welt vergolden“, bekennt er offenherzig. Arbeit für junge Leute will er schaffen, Städte beleben, Touristen mit großartigen Projekten anlocken. Mit seiner größten Taschenuhr der Welt, die in Eberswalde (Barnim) steht, schaffte er es sogar ins Guinessbuch der Rekorde.

Der Durchbruch gelang dem gelernten Schlosser Mitte der 1980er-Jahre mit seiner Schmiedekunst für das Ostberliner Vorzeige-Sanierungsprojekt Nikolaiviertel – wenn auch nicht immer mit dem Wohlwollen diplomierter Künstler bedacht. Schwuchow ist Autodidakt. Und doch wurden ihm die kniffligsten und kostbarsten Arbeiten anvertraut.

Er schmiedete eine goldene Krönung für die Nikolaikirche, gestaltete Zunftzeichen, Türklinken, Schilder nach historischen Vorlagen. Bald wurde Schwuchow auch mit Aufträgen für persönliche Geschenke der DDR-Ministerriege überhäuft – von Briefbeschwerern bis zum legendären Mielke-Hirsch.

Zur 750-Jahrfeier Berlins 1987, die mit großem Tamtam begangen wurde, sollte der Handwerker aus Angermünde dann ein Präsent für Staatschef Erich Honecker gestalten. Schwuchow entwarf einen vergoldeten Pokal mit den Wappen und Wahrzeichen der Hauptstadt. Das Modell stellte der Schmied, der inzwischen den Titel „Metallrestaurator“ verliehen bekommen hatte und freischaffend arbeitete, bei der Denkmalpflege und im Kulturministerium vor. „Man war hellauf begeistert. Ich bekam den Auftrag“, erinnert sich Schwuchow.

In seiner kleinen Angermünder Werkstatt schmiedete er aus massiven Silberbarren einen Pokal, tüftelte an Techniken und Gestaltungsideen, die er immer wieder verwarf. „Ich wollte die Geschichte Berlins darstellen und merkte bald, an der Teilung komme ich nicht vorbei. Auch Westberlin wurde ja 750 Jahre alt.“ Also schmiedete Schwuchow den Berliner Bären als Pokalfuß, trieb eine hohe Becherform und symbolisierte darauf neben dem Roten Rathaus in Ostberlin nun auch das Schöneberger Rathaus im Westen, ganz symmetrisch.

Zufrieden mit seinem Werk, fuhr er wieder ins Kulturministerium, den Pokal im abgewetzten Lederbeutel. „Man reagierte plötzlich etwas wortkarg. Ich musste das Teil abgeben und sollte abwarten.“

Zwei Wochen später stand Schwuchow erneut erwartungsfroh vor der Tür des Ministeriums. „Ich war extra ohne Frühstück aus Angermünde nach Berlin gefahren, weil ich dort bis dahin immer freundlich mit Kaffee und Kuchen bewirtet worden war“, erzählt er. „Doch diesmal guckte schon der Pförtner komisch. Schließlich reichte mir die Sekretärin wortlos meinen Beutel mit dem Pokal und schob mich bestimmt aus der Tür heraus, ehe ich noch einen von den Verantwortlichen sehen konnte.“

Zwei Tage darauf bekam der Handwerker in seiner Angermünder Werkstatt Besuch von zwei Herren, Offiziere der Staatssicherheit. „Sie waren höflich, aber sehr bestimmt, und verlangten, dass ich den Pokal umarbeite, weil es in dieser Form ein Pokal der Wiedervereinigung sei.“

Schwuchow verwickelte die Offiziere in seiner leutselig-euphorischen Art in eine Diskussion, versuchte sie zu überzeugen, dass die Wiedervereinigung eines Tages kommen werde – wenn der Sozialismus siegt. „Irgendwie wussten die Stasimänner nichts mehr mit mir anzufangen und dachten, der Schwuchow hat ’ne Macke!“

Der Kunstschmied änderte nichts. Der Pokal war fortan öffentlich ein Tabu und fand seinen Platz auf Schwuchows Kaminsims in der Angermünder Wohnstube. Den Wert des verarbeiteten Silbermaterials stotterte der Handwerker in den folgenden Jahren in Raten ab. Mittlerweile ist er auch materiell sein Eigentum.

Schwuchow ahnte nicht, dass sich nur zwei Jahre später sein Einheitspokal praktisch über Nacht zum Zeitzeugnis mit großer Symbolik wandeln würde. Als am 2. Dezember 1990 die ersten gemeinsamen Berliner Bürgermeisterwahlen stattfanden, sah er seine große Stunde gekommen. Spätabends fuhr er mit einem Freund im Trabi von Angermünde nach Berlin, den aufpolierten Goldpokal im Einkaufsbeutel. „Ich wollte, dass beide Bürgermeister aus Ost und West, Tino Schwierzina und Walter Momper, gemeinsam aus meinem Pokal auf die Einheit trinken und ihn weihen würden“, wünschte sich der symbolische Szenen liebende Schwuchow.

Mitten im Wahlpartytrubel der SPD lauerten die Angermünder am Tisch von Manfred Stolpe auf ihre Chance. Sicherheitskräfte beäugten die beiden Männer in Blaumann und Fischerpullover argwöhnisch. Für ihren Einkaufsbeutel interessierten sie sich nicht. „Wir hatten ein Kopftuch obendrauf gelegt, damit man nicht gleich sehen kann, was drin ist“, erinnert sich Schwuchow.

Fünf Minuten vor Mitternacht sei dann Walter Momper erschienen, ziemlich niedergeschlagen als Wahlverlierer. Blitzschnell hielt ihm Schwuchow mit leuchtenden Augen seinen Pokal vor die Nase – und Momper und Schwierzina tranken tatsächlich gemeinsam aus dem Goldbecher der Einheit einen großen Schluck Bier. Auf ein wiedervereintes Berlin. Gerade mal für ein Erinnerungsfoto reichte dieser Moment, dann nahm keiner der Politiker mehr Notiz von dem kleinen Schmied aus Angermünde und seiner großen Idee.

Schwuchow wickelte seinen Pokal wieder in den Beutel und fuhr zurück in die Uckermark. Dort schlummert der historisch geweihte Becher nun seit 25 Jahren sicher im Tresor. Niemand will ihn haben.

Ab und zu nimmt Schwuchow das Stück mal mit zu Messen und Ausstellungen, die den kauzigen Kunstschmied inzwischen bis nach München, Frankfurt am Main, in der Schweiz und sogar in Dubai bekannt gemacht haben. Er erntet Staunen und Verwunderung. Mehr nicht. „Die Menschen sind alle so beschäftigt mit sich selbst. Da ist wenig Raum für Ideale und Symbolik. Dabei sollte man sich immer wieder daran erinnern, was für ein historischer Moment diese friedliche Wende war, die allein durch die Geschlossenheit eines Volkes gut ausging“, sagt Schwuchow nachdenklich.

Für ihn ist sein Pokal eines der wenigen wahrhaftigen Symbole der deutschen Einheit. Sein ideeller Wert wird steigen, ist sich Schwuchow sicher – und wartet wieder geduldig auf den richtigen Moment.

TEASER-FOTO: Daniela windloff